Oberbürgermeister Jochen Partsch erinnert an den Tag der Befreiung von der NS-Diktatur am 25. März 1945

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Literaturhaus DarmstadtAm 25. März 1945 marschierten amerikanische Panzertruppen in Darmstadt ein und bescherten der stark zerstörten Stadt ein vorzeitiges Kriegsende. Aus Anlass des 70. Jahrestages der Befreiung Darmstadts von Krieg und Nationalsozialismus veranstaltet die Wissenschaftsstadt Darmstadt am 14. April eine Feierstunde im Literaturhaus, Kasinostraße 3, bei der Oberbürgermeister Jochen Partsch das 320-seitige reich bebilderte Flipbook des Ohlhauser Verlags vorstellt.

Die Autorin Antje Voutta zeichnet die Geschichten hinter den Spuren der US-amerikanischen Besatzung in Darmstadt nach. Kern des Buches ist eine fotografische Schwarz-Weiß-Reportage von Christoph Rau über das Leben in den amerikanischen Stadtteilen von 1945 bis zum Abzug 2008. Uli Partheil wird diesem Abend am Flügel mit Jazz der Nachkriegszeit begleiten. Veranstaltungsbeginn ist um 19 Uhr, der Eintritt ist frei.

Oberbürgermeister Jochen Partsch: „Den 25. März vor 70 Jahren erlebten die meisten Darmstädter als Tag der Befreiung, ebenso wie mehrere Tausend politische Gefangene, Kriegsgefangene, aber auch Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Bei Befreiung dachten Letztere an Befreiung von ihren Peinigern, viele Darmstädter an Befreiung von Krieg, Luftalarm und Bomben: Groß war die Erleichterung über das Schweigen der Waffen und das Ende der Angst. Für uns ist der 25. März im Sinne Richard von Weizsäckers ein Tag der Erinnerung, des Nachdenkens über deutsche Geschichte. Aus den Erinnerungen und Erfahrungen müssen wir immer wieder die Kraft ziehen, um gegen Menschenverachtung und Intoleranz anzugehen. Der 25. März 1945 ist der Tag der Befreiung von der NS-Diktatur, aber auch der Tag der Hoffnung: Er steht für den Wunsch nach Glück, auf ein menschenwürdigen Leben, auf Toleranz und eine offene, demokratische Gesellschaft. In Darmstadt ist diese Hoffnung auch verknüpft mit unseren amerikanischen Freunden, die uns auf dem Weg in die Demokratie gut begleitet haben. Darmstadt hat aus der Geschichte gelernt. Darmstadt ist eine Stadt, in der viele verschiedene Kulturen und Religionen freundschaftlich zusammenleben: Für uns ist das eine Bereicherung, darauf sind wir stolz, und das gilt es zu bewahren“.

Hintergrundinformation:
Vor dem Zweiten Weltkrieg hatte Darmstadt 115.000 Einwohner, zum Kriegsende lebten noch etwa 51.000 Menschen in Kellerhöhlen, Gartenhäuschen und den weniger zerstörten Vororten. Das öffentliche Leben war nahezu zum Stillstand gekommen. Die rund 200 in der Stadt und den Stadtteilen stationierten Soldaten und Volkssturmmänner hatten die an den Ausfallstraßen errichteten Panzersperren verlassen und sich in amerikanische Gefangenschaft begeben oder abgesetzt. Auch die Vertreter des NS-Regimes waren geflohen: Gauleiter Jakob Sprenger und Oberbürgermeister Otto Christian Wamboldt nahmen sich in den folgenden Tagen das Leben, Kreisleiter Julius Schilling konnte nach Norddeutschland fliehen. Viele andere größere und kleinere Nationalsozialisten tauchten ebenfalls unter. Unter großen personellen und materiellen Schwierigkeiten begann der Aufbau einer Verwaltung mit dem von den Amerikanern eingesetzten Rechtsanwalt Ludwig Metzger als Oberbürgermeister. Zu seiner Unterstützung gründete sich ein von der Militärregierung genehmigter Stadtausschuss, dem elf politisch unbelastete Mitglieder angehörten. Die Aufgaben für die erste Stadtregierung waren gigantisch: 78 Prozent der Kernstadt waren vernichtet. Von rund 35.000 Wohnungen waren 16.000 völlig oder weitgehend zerstört, 6000 beschädigt. Ungefähr drei Millionen Kubikmeter Trümmerschutt bedeckten Straßen und Grundstücke. An einen Wiederaufbau war zunächst nicht zu denken. Die Stadtverwaltung musste reorganisiert werden. Die Besetzung der Amtsleitungen machte Mühe, weil kaum geeignetes Personal zur Verfügung stand. Viele ehemalige Beschäftigte waren tot, evakuiert, in Kriegsgefangenschaft oder als NS-Belastete entlassen worden. Große Anstrengungen erforderten die Ernährung und die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung. Aufgrund der Unterernährung vieler Menschen nahmen Mangelerkrankungen, Tuberkulose, Diphterie und Typhus zu. Ein drängendes Problem stellte auch der Schulunterricht dar. Von den wenigen nicht zerstörten Schulgebäuden wurde ein Teil durch deutsche und amerikanische Behörden fremd genutzt. Der dennoch im Oktober 1945 beginnende Unterricht musste unter primitivsten Umständen und fast ohne Schulbücher und Lernmaterial im Mehrschicht-Betrieb durchgeführt werden. Hinzu kam ein Mangel an politisch nicht vorbelasteten Lehrern, der zum Teil durch die Beschäftigung von Nicht-Pädagogen ausgeglichen wurde. Frühzeitig bemühte sich die Stadtverwaltung um einen Neubeginn des kulturellen Lebens. Schon im Herbst 1945 gab es die ersten Konzerte, Vorträge und Kunstausstellungen. Im Dezember 1945 konnte das Hessische Landestheater einen provisorischen Spielbetrieb in der Orangerie eröffnen. 1946 erfolgte die Gründung der „Ferienkurse für neue Musik“, die der nach 1933 verbotenen zeitgenössischen Musik wieder Gehör verschaffen sollten. Die Zusammenarbeit mit der Militärregierung erwies sich anfangs als schwierig. Die Militärverwaltung beschlagnahmte etwa ohne Rücksicht auf den starken Zerstörungsgrad der Stadt weit über 1000 Wohnungen für Militärangehörige, requirierte Wohnungsausstattungen und Alltagsgegenstände. Erst allmählich entspannte sich das deutsch-amerikanische Verhältnis und führte zu einer gedeihlichen Zusammenarbeit. Dazu trugen auch die Hilfsaktionen amerikanischer Wohltätigkeitsorganisationen bei. Der amerikanischen Politik der „reeducation“, der Heranführung der Deutschen an die Demokratie, verdankten die Darmstädter die Einrichtung einer amerikanischen Bibliothek, aus der 1947 das Amerikahaus entstand. Im August 1948 initiierte die Militärregierung in Darmstadt, ein „Forum“, eine regelmäßig einberufene Bürgerversammlung, auf der Themen von politischer und gesellschaftlicher Relevanz, wie etwa Schulreform, Wiederaufbau oder der Fortbestand des Landestheaters von allen Teilnehmern diskutiert wurden. Jeder Darmstädter hatte die Möglichkeit, sich zu Fragen des öffentlichen Lebens zu äußern. Auf den Foren wurden Beschlüsse gefasst, die von der Stadtregierung berücksichtigt werden sollten, eine Form der Bürgerbeteiligung, wie sie erst in jüngster Zeit wieder aufgelebt ist. Das in den folgenden Jahrzehnten freundschaftliche Verhältnis zu den amerikanischen Soldaten und ihren Angehörigen kam in vielen gemeinsamen Aktivitäten zum Ausdruck. Zu nennen sind hier in erster Linie die deutsch-amerikanischen Freundschaftsfeste, die Deutsche und Amerikaner regelmäßig zusammen brachten. Vertreter der US-Army wirkten häufig auch bei Heinerfesten mit oder übernahmen den Bieranstich bei der Mess oder der Kerb, sie beteiligten sich an Grenzgängen. Insgesamt wich das anfangs angespannte Verhältnis einem friedlichen und freundschaftlichen Miteinander.

Darmstadt erfüllte wie auch andere Kommunen in der ersten Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg eine wichtige Funktion bei der Überwindung des Nationalsozialistischen Unrechtssystems und der Demokratisierung der Gesellschaft. In einer Zeit, als es eine funktionierende Staatsverwaltung noch nicht gab, waren die Kommunen das Rückgrat der demokratischen Entwicklung bis zur Ausbildung neuer staatlicher Strukturen. Diese Bedeutung wurde später in Paragraf 1 der Hessischen Gemeindeordnung vom 25. Februar 1952 festgelegt: „Die Gemeinde ist die Grundlage des demokratischen Staates. Sie fördert das Wohl ihrer Einwohner in freier Selbstverwaltung durch ihre von der Bürgerschaft gewählten Organe.“ Am 26. Mai 1946 konnten die Darmstädter erstmals wieder ein Stadtparlament wählen und hatten damit nach 13 Jahren wieder ein demokratisch legitimiertes Parlament.

Quelle: Pressestelle der Wissenschaftsstadt Darmstadt


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