24 Stunden Satie – Musikperformance „Vexations“

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Erik Satie, 1909. Fotografie, Archives de la Fondation Erik Satie, Ornella Volta, ParisEin Höhepunkt des Rahmenprogramms der Ausstellung „A House Full of Music“ – Nonstop von Samstag, 16. Juni, 15 Uhr bis Sonntag 17. Juni 2012, 15 Uhr im Foyer des Ausstellungsgebäudes Mathildenhöhe Darmstadt.

Erik Satie gehört zu den herausragenden Musikdenkern der Moderne. Bei „Vexations“ aus dem Jahr 1893 handelt es sich um die früheste und radikalste Wiederholung der Musikgeschichte. Ganze 840mal muss das Klavierstück laut Anweisung von Satie gespielt werden. Auf der Mathildenhöhe Darmstadt wird genau dies in der Nacht vom 16. auf den 17. Juni der Fall sein: Rund um die Uhr spielen die vierundzwanzig Pianistinnen und Pianisten der Akademie für Tonkunst Darmstadt jeweils für eine Stunde Saties revolutionäre Musik. Bei der Welturaufführung 1963 in New York, organisiert von keinem Geringeren als John Cage, gab es nur einen einzigen Zuhörer, der die ganze Zeitspanne anwesend war. Sorgen Sie dafür, dass es auf der Mathildenhöhe Darmstadt mehr werden!

Björn Lehmann, Friederike Richter und die beiden Klavierklassen der Pianistin und des Pianisten der Akademie für Tonkunst Darmstadt spielen 840mal Erik Saties „Vexations“ am Flügel im Foyer des Ausstellungsgebäudes Mathildenhöhe Darmstadt. Parallel dazu findet auf dem Freigelände vor dem Ausstellungsgebäude eine Openair-Filmnacht statt. Ab 22 Uhr zeigt die Mathildenhöhe Darmstadt den Musikfilmklassiker „Das Piano“ von Jane Champion. Das Permanentkonzert im Foyer und die Filmnacht sind bei freiem Eintritt zu erleben.

Die Ausstellung „A House Full of Music“ mitsamt dem Wasserreservoir und dem Café-Restaurant Mathildenhöhe sind an diesem Samstagabend außerplanmäßig bis 24 Uhr geöffnet.

Die Gesamtveranstaltung „24 Stunden Satie“ wird organisiert vom Institut Mathildenhöhe Darmstadt in Zusammenarbeit mit der Akademie für Tonkunst Darmstadt.

Hintergrundinformation zu Erik Saties „Vexations“
Erik Satie schreibt 1893 eines der revolutionärsten Stücke der westlichen Kunstmusik, das erstaunlicherweise erst rund siebzig Jahre später seine Wirkung zu entfalten beginnt. Schuld daran ist der einfache Umstand, dass „Vexations“ (was auf Französisch soviel heißt wie Schikanen oder Demütigung) 1949, also lange nach Saties Tod, in Druckform erscheint, und erst am 9. September 1963 im New Yorker Pocket Theatre uraufgeführt wird. Für die Organisation des Ereignisses zeichnet John Cage verantwortlich. Das kurze Klavierstück, das „sehr langsam“ zu spielen ist, schwebt harmonisch frei, ist also ohne tonale Melodieführung, harmonische Spannung oder Auflösung; es hat keine Taktstriche, und es muss 840-mal wiederholt werden. Das dauert je nach Tempo zwischen 16 und 28 Stunden. Cage versammelt 1963 zahlreiche Musiker, um das Werk erstmals integral aufzuführen, unter den Pianisten sind unter anderem John Cale, David Tudor, Christian Wolff, James Tenney und Cage selbst, die sich in regelmäßigen Abständen für jeweils 20 Minuten an den Flügel setzen. Die Aufführung beginnt um sechs Uhr abends und dauert bis zum nächsten Mittag – offenbar gibt es einen einzigen Zuhörer, der die ganze Zeitspanne anwesend ist. „Vexations“ negiert in kühnster Weise fast alles, was in der musikalischen Spätromantik um 1890 zentral ist: Dramatik, harmonische und kontrapunktische Ausweitung, Bewegung, Klangfarbenvielfalt, ausladende Form oder differenzierte Dynamik. Es stellt unmenschliche Forderungen an den Zuhörer (falls man dem Stück mit herkömmlichen Kriterien konzentriert folgen will) und an die Ausführenden, und es thematisiert den einzigen Punkt, den alle Musik dieser Welt verbindet: den Faktor Zeit. Durch seine Überlänge ist man in „Vexations“ als Zuhörer nicht mehr in der vorgeschriebenen Spieldauer des Komponisten gefangen, sondern verfügt über seine eigene Zeit, man bewegt sich darin gewissermaßen wie in einer Klanginstallation. Es gibt wenig, was man in dieser Situation musikalisch analysieren könnte – letztlich wird so die eigene Wahrnehmung zum Thema. Damit nimmt Satie mit „Vexations“ nicht nur seine eigene Idee einer „Musique d’ameublement“ vorweg, sondern auch spätere Formen der Konzeptmusik, die erst in den 1960er- und 1970er-Jahren entstehen. Das macht dieses Stück bis heute so einzigartig.

Hintergrundinformation zu Jane Champions Spielfilm „Das Piano“
Das Filmdrama „The Piano“ von 1993, realisiert von der australischen Drehbuchautorin und Regisseurin Jane Champion, gewann beim Filmfestival von Cannes 1993 die Goldene Palme und bei der Oscarverleihung 1994 drei Oscars. Als versierte Klavierspielerin konnte Holly Hunter, die neben Harvey Keitel und Sam Neill in einer der drei Hauptrollen des Films zu sehen und zu hören ist, die Klavierstücke im Film selbst spielen. Aufgenommen wurde die Filmmusik in München unter der Leitung von Michael Nyman mit Mitgliedern der Münchner Philharmoniker. Der Film, der von einer leidenschaftlichen, aber stummen Klavierspielerin handelt, die Mitte des 19. Jahrhunderts mit ihrer Tochter und ihrem Klavier in Neuseeland ein neues Leben sucht, endet mit einer Strophe aus dem Gedicht „Silence“ von Thomas Hood: „There is a silence where hath been no sound…“ Das titelgebende Klavier steht in diesem Film für Musik und Leidenschaft, für Leben und Tod gleichermaßen. Der filmdienst pries 1993 die „in grandiosen (Sinn-)Bildern erzählte Parabel über die Selbstbefreiung und –findung einer Frau“, Blickpunkt Film erkannte „ein poetisches Meisterwerk“ in der audiovisuellen Arbeit von Jane Champion.

Die AkteurInnen der Aufführung von „Vexations“ in chronologischer Gesamtübersicht

Samstag, 16. Juni 2012 bis Sonntag, 17. Juni 2012

15:00-16:00 Asuka Kitamura
15:00-16:00 Friederike Richter
16:00-17:00 Song Bo
17:00-18:00 Hyun Jung Kim
18:00-19:00 Bitnal Kim
19:00-20:00 Eun Yong Kim
20:00-21:00 Natalia Bashtanenko
21:00-22:00 Sunwoo Choi
22:00-23:00 Yue Cao
23:00-24:00 Eiko Shiratori
24:00-01:00 N.N.
01:00-02:00 Antonina Khananayeva
02:00-03:00 Johannes Müller-Hornbach
03:00-04:00 Kiavasch Mohammad Nejad Farid
04:00-05:00 Lukas Grossmann
05:00-06:00 Björn Lehmann
06:00-07:00 Kaoru Senoo
07:00-08:00 N.N.
08:00-09:00 N.N.
09:00-10:00 Yisu Kong
10:00-11:00 Jingjing Liu
11:00-12:00 Anna Klein
12:00-13:00 Nao Yasuoka
13:00-14:00 Shinhyo Lee
14:00-15:00 Meng Yuan
15:00-16:00 Asuka Kitamura

Bild: Erik Satie, 1909. Fotografie, Archives de la Fondation Erik Satie, Ornella Volta, Paris
Quelle: Institut Mathildenhöhe Darmstadt


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