TU fordert Freiheit für digitale Kopien – Sprungrevision gegen Urteil zur wissenschaftlichen Nutzung digitaler Texte eingelegt

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karo 5Seit 2008 dürfen deutsche Bibliotheken Bücher, die sie erworben haben, digitalisieren und ihren Nutzern digitale Kopien zugänglich machen – unabhängig davon, ob Verlage eigene digitale Zweitversionen ihrer Print-Texte kostenpflichtig vertreiben oder nicht. Inhalt und Umfang des § 52b UrhG, der dies regelt, sind jedoch zwischen Bibliotheken und Verlagen juristisch umstritten.

Zwei einstweilige Verfügungsverfahren und ein erstes erstinstanzliches Urteil in einem Musterverfahren zwischen der TU Darmstadt und dem Ulmer Verlag brachten bislang keine Klarheit. Im Gegenteil: Es liegen unterschiedliche Urteilsbegründungen vor – mit zum Teil deutlich differierenden Ansätzen.

Die Bundesregierung bereitet zudem seit einiger Zeit eine weitere Novellierung des Urheberrechts vor. Der sogenannte „3. Korb“ sollte zu einer wissenschaftsfreundlicheren Ausgestaltung des Urheberechts beitragen (so der Bundesrat 2007). Anhörungen zu einem neuen Gesetz fanden im Herbst 2010 statt.

Die TU Darmstadt hat sich vor diesem Hintergrund entschieden, vor dem Bundesgerichtshof Sprungrevision gegen das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Frankfurt vom 16.3.2011 einzulegen. Ein höchstrichterliches Urteil soll Klarheit über die derzeitige, möglicherweise inkonsequente Rechtssituation schaffen. Der TU Darmstadt geht es um einen Musterprozess, der die Freiheit der wissenschaftlichen Textarbeit auch unter den Bedingungen des Digitalzeitalters verteidigt und sichert.

Was für die Print-Welt unstreitig anerkannt ist, muss auch in der digitalen Welt erlaubt sein: Wissenschaftliches Arbeiten mit Texten setzt – das wissen alle Beteiligten – die Möglichkeit voraus, Randnotizen zu machen, Hervorhebungen im Text vorzunehmen, Passagen wortwörtlich aus der Bibliothek mitzunehmen, um Quellen später verlässlich zu zitieren. Deshalb müssen Texte kopiert werden können. Die Kopisten in den Skriptorien mittelalterlicher Klöster erledigten dies durch Abschreiben, seit Jahrzehnten verwendet man Kopiergeräte. Heute funktioniert dies durch Ausdruck und elektronische Kopie. Ein „Zurück“ ins Mittelalter kann niemand ernsthaft wollen.

Die Interessen der Nutzer stehen den Interessen der Urhebe r (also der wissenschaftlichen Autoren) nicht entgegen. Es sind vielmehr die Verlage, die versuchen, die Erstellung, Nutzung und Verwertung digitaler Medien aus vorhandenen Printmedien für sich zu monopolisieren: Statt der VG Wort-Tantiemen, welche an die Urheber gezahlt werden, sollen Zahlungen an Verlage der einzige rechtlich zulässige Weg zum digitalen Medium sein. Der TU Darmstadt ist es wichtig, dies festzuhalten: Den Universitäten geht es keineswegs um „Raubkopien“, wie öffentlich immer wieder von Verlagsseite behauptet wird. Es geht auch nicht um ein kostenloses Vermehren verfügbarer Exemplare, um Entlastung der Bibliotheksetats, gewissermaßen durch die Hintertür. Die Universitäten stehen für den verdienten Lohn der Urheber ein. Sie wehren sich allein gegen einen „Zweitmarkt“ mit Digitalbüchern mit einem – gesonderten, die wissenschaftliche Nutzung einschränkenden – Verlagsmonopol.

Der Musterprozess der TU Darmstadt wird von der Deutschen Bibliotheksverbandes unterstützt und in Abstimmung mit der Deutschen Hochschulrektorenkonferenz vorangetrieben. Sollte die jetzige Fassung des strittigen Paragrafen tatsächlich eine wissenschaftsadäquate Nutzung digitaler Medienformen nicht zulassen, ist der Gesetzgeber aufgefordert, dies in der laufenden Novellierung des Urheberrechts zu korrigieren.

Anfang 2009 hat die Bibliothek der TU Darmstadt als eine der ersten in Deutschland die Möglichkeit genutzt, Bestandswerke zu digitalisieren. Etwa 100 von der Bibliothek erworbene Lehrbücher wurden an elektronischen Leseplätzen im Lesesaal den Nutzern digital (bei Ausdruck mit der üblichen Entrichtung des VG-Wort-Anteils) zugänglich gemacht. Der Ulmer Verlag, unterstützt vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels, erhob daraufhin Klage. Die Bibliotheken sollten – auch im Falle der wissenschaftlichen Nutzung – das Recht einer zwar vergütungs-, aber nicht genehmigungspflichtigen Digitalisierung ihrer Bestandswerke nur mit Erlaubnis der Verlage nutzen dürfen. Ein Recht auf Erstellung einer Kopie zum persönlichen Gebrauch sollten die Leser dann nicht haben. Aus Sicht der deutschen Universitäten und ihrer Bibliotheken wird dadurch das 2008 auf den Stand des Digitalzeitalters gebrachte Recht für die Wissenschaft praktisch wertlos. Eine Abhängigkeit vom Goodwill der Verlage schränkt die Wissenschaft in einer bisher nie gekannten Weise ein. Zudem ist zu bedenken, dass man mit Materialien, die man nicht einmal auszugsweise kopieren kann, nicht wissenschaftlich arbeiten kann: Wie will man beispielsweise nur nach Bildschirmlektüre zuverlässig zitieren?

Zwei einstweilige Verfügungsverfahren 2009 und das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Frankfurt vom 16.3.2011 haben eindeutig das Recht der Bibliotheken zur Digitalisierung ihrer Bestände bestätigt. Das Recht der Nutzer auf Privatkopie wurde jedoch mit wechselnder Begründung eingeschränkt. Das Landgericht hielt in seiner einstweiligen Verfügung noch den Ausdruck auf Papier für zulässig, obwohl es in diesem Fall grundsätzlich die Anwendbarkeit des § 53 UrhG verneinte, aber im § 52b UrhG selber eine Erlaubnis zur Kopie sah, weil der Gesetzgeber eine quasi analoge Nutzung intendiere. Das Oberlandesgericht erachtete umgekehrt zwar den §53 UrhG für anwendbar, sah aber gerade im § 52b UrhG ein Verbot jeglicher Kopieroptionen begründet, da dort nur von einem „elektronischen Leseplatz“ die Rede sei. Dies wiederum verneint 2011 das Landgericht in seinem ersten Hauptsacheurteil, da der Begriff „Leseplatz“ in Bibliotheken stets mehr meine als nur das Lesen. Das Landgericht sieht aber in der Absicht des Gesetzgebers, nur eine quasi analoge Nutzung zuzulassen, neuerdings auch die Grundlage dafür, Ausdruck und Speicherung auf einem Datenträger zu untersagen. Zumindest den einfachen Ausdruck hatte es zuvor erlaubt.

Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung den Parteien zuletzt selbst eine sogenannte Sprungrevision zum Bundesgerichtshof nahegelegt. Die TU Darmstadt ist dieser Empfehlung gefolgt und hat eine Sprungrevision beantragt. Der Ulmer Verlag hat dies ebenfalls getan. Beide Seiten wollen nun ein letztinstanzlichen Urteil und damit Gewissheit über die Auslegung der derzeit gültigen Fassung des §52b UrhG erreichen.

Quelle: TU Darmstadt


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