Teile eines mittelalterlichen Schmuckensembles im Hessischen Landesmuseum Darmstadt

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Das Hessische Landesmuseum DarmstadtDer Mainzer Goldschmuck. Ein Kunstkrimi aus der deutschen Kaiserzeit bis 11. März 2018 im Hessischen Landesmuseum Darmstadt.

Die abenteuerliche Geschichte des wohl prominentesten mittelalterlichen Schmuckensembles, die Ergebnisse der Untersuchungen und seine heutige Interpretation sind die Themen dieser einmaligen Ausstellung, die zum ersten Mal alle Teile des Schatzes vereinigt.

Sicher ist, dass 1880 im Stadtzentrum von Mainz bei Bauarbeiten eine goldene Fibel aus dem Mittelalter gefunden wurde, die einen stilisierten Pfau zeigt.

Wie das Denkmalschutzgesetz es für Bodenfunde vorschrieb, gelangte das Stück in das Mainzer Altertumsmuseum. Es wurde bei der Gelegenheit an einigen Stellen restauriert, was bei Bodenfunden durchaus üblich ist, und der Fund als „Adlerfibel“ in der Fachliteratur veröffentlicht. Sechs Jahre später, 1886, tauchen mit unklarer Herkunft 6 Ringe, 5 Schmuckstücke und einige Goldketten bei einer Wiesbadener Trödlerin, Rebekka Rosenau, auf. Der Konservator für die Altertümer im Bezirk Wiesbaden, Carl August von Cohausen (1812 – 1894), vermerkt aufgrund der Art der anhaftenden Erde, dass die Stücke als Fund von einem Acker stammen müssen. Das heißt, sie haben nichts mit dem Fund von 1880 in der Mainzer Innenstadt zu tun.

Davon geht aber der Mainzer Kulturprälat Friedrich Schneider (1836 – 1907) aus, der 1887 bei einer weiteren Gruppe von Schmuckstücken vom dritten Teil des Mainzer Goldschmucks redet. Die Wiesbadener Gruppe war für ihn also der zweite Teil des Schatzfundes. Die Wiesbadener Gruppe wird von dem Frankfurter Kunsthändler Julius Goldschmidt (1858 – 1932) für 2.700 Mark erworben, durch gegenseitige Verkäufe mit David Reiling, einem Mainzer Kunsthändler, auf 5.000 Mark hochgeschaukelt und schließlich auf nachdrückliche Empfehlung von Friedrich Schneider für 10.000 Mark an den Baron Maximilian von Heyl verkauft.

Friedrich Schneider ist wie eine Art Kunstmakler für den Darmstädter Millionär Maximilian von Heyl (1844 – 1925) tätig. Er ist ihm freundschaftlich verbunden und berät ihn bei Ankäufen zum Aufbau einer großen Kunstsammlung, vornehmlich bei mittelalterlichen Objekten. Ein Jahr später, 1887, tauchen bei dem Wiesbadener Kunsthändler August Gerhard weitere Schmuckstücke auf, darunter ein Brustschmuck, der sogenannte Loros. August von Cohausen hält diesen nach einer Einschätzung von Julius Lessing (1843 – 1908), dem Direktor des Berliner Kunstgewerbemuseums, für zwei Gehänge, die seitlich an einer Krone befestigt gewesen wären. Friedrich Schneider schreibt an von Heyl, er hoffe, dass auch die zugehörige Krone bald auftauche. Von Heyl erwirbt diesen „dritten“ Teil des Mainzer Schmucks für 8.000 Mark.

Einige Stücke, die bei von Heyl zu dem Schmuckensemble zählten, werden sonst nicht in den Empfehlungsschreiben und Berichten erwähnt. Dazu zählen der Halsschmuck, das sogenannte Maniakon, und die Berliner Adlerfibel, die wohl mit dem „dritten“ Teil von August Gerhard 1887 nach Darmstadt kamen. Ohrringe und weitere Fibeln mögen ebenfalls darunter gewesen sein, falls sie nicht tatsächlich mit der Adlerfibel 1880 gefunden und unterschlagen wurden und auf uns nicht bekannten Wegen an Baron von Heyl gelangten.

1896 entdeckt Friedrich Schneider höchstpersönlich in einer Baugrube am Mainzer Dom die zwei Mainzer Tasseln (paarweise getragene Fibeln), die dann dem Dommuseum Mainz einverleibt und heute im Darmstädter Landesmuseum aufbewahrt werden. Ihr Zustand mit unversehrten Perlen und kaum verdrückten Goldfassungen spricht entweder für eine durchgreifende Restaurierung, die aber nicht in den Unterlagen des Dommuseums dokumentiert ist, oder für ganz andere Fundumstände als angegeben.1904 werden schließlich bei Bauarbeiten ein Ohrring und eine byzantinische Münze des Kaisers Romanos gefunden und dem Gesetz folgend dem Altertumsmuseum Mainz, heute Landesmuseum Mainz, übergeben.

Eine eingehende technologische und kunsthistorische Untersuchung der Stücke in den letzten Jahren ergab, dass sie weder stilistisch noch technisch in einen unmittelbaren Zusammenhang gehören. Sie entstammen unterschiedlichen Zeiten und Regionen. Ein Teil von ihnen ist durchgreifend restauriert, ein anderer Teil nur wenig. Gerade die prominenten Stücke, die die Vorstellung von einem Kaiserinnenschmuck erst begründeten, sind aber moderne Erfindungen. Das gilt für den Loros, das Maniakon und die Berliner Adlerfibel. Sie wurden unter der Verwendung weniger alter Teile neu geschaffen.

Denkbar und wahrscheinlich ist nun folgendes Szenarium: Nach dem spektakulären Fund der Mainzer Adlerfibel entsteht bei von Heyl der Wunsch, derartiges und möglichst mit einer prominenten Herkunft auch in seiner Sammlung zu haben. In enger Zusammenarbeit präsentieren Friedrich Schneider, Julius Goldschmidt, David Reiling und August Gerhard nun Stücke, die sie mit dem Mainzer Schatzfund in Verbindung bringen. Das sind Objekte, die aus unterschiedlichsten Quellen wie Raubgrabungen und dem Kunsthandel stammen. Darunter sind auch solche wie die große Buckelfibel, die Darmstädter Tasseln und die Ohrgehänge, die von großer Feinheit und Qualität sind. Die beiden Schmuckketten, Loros und Maniakon, sind dagegen grob nach dem Vorbild mittelalterlicher Bilder von Kaisern und Kaiserinnen und antiken Schmuckstücken unter Verwendung von alten Teilen wie zerbrochenen Kameen neu gestaltet worden. Friedrich Schneider preist die Stücke an, verbürgt sich sozusagen dafür, und der Baron kauft im Glauben, es handele sich um einen homogenen Fund mit fürstlichem Hintergrund.

Inwieweit Friedrich Schneider von der zweifelhaften Herkunft der Stücke wusste oder selbst mit Erfolg betrogen wurde, kann man heute nicht mehr entscheiden. Der wundersame Fund der Tasseln, die weder in ihrem Zustand noch als Pärchen im Erdboden am Mainzer Dom Sinn machen, spricht dafür, dass hier dem Prälaten und seinem Museum aus derselben zusammen gestellten Kollektion etwas zukommen sollte, aus der auch der Schmuck der Kaiserinnen stammte.

Der Öffentlichkeit wird der Schatz im Besitz des Barons von Heyl zuerst 1890 im Kunstgewerbemuseum Berlin, dann auf der Düsseldorfer Kunstausstellung 1902 als Schmuck einer Fürstin des 11. Jahrhunderts präsentiert. Wilhelm von Bode (1845 – 1929), der Generaldirektor der königlichen Museen in Berlin, wird ihn in Berlin oder Düsseldorf gesehen haben. Seit der Ausstellung 1902 wird dem Schmuck eine stets wachsende kaiserliche Aura zugebilligt, bis hin zu Otto von Falkes (1862 – 1942) Identifizierung der Trägerin als Kaiserin Gisela im Jahr 1913. In der Öffentlichkeit und in der Kunstgeschichte werden gerade die beiden Kettengehänge zum Paradebeispiel für den Schmuck einer hochmittelalterlichen Kaiserin. Wohl auf Anregung Wilhelm von Bodes hatte sich ein Konsortium privater vermögender Stifter unter der Organisation des Bankiers Ludwig Delbrück (1860 – 1913) gebildet mit dem Ziel, den Schatz für Kaiser Wilhelm II. und das gerade entstehende „Deutsche Museum“ zu erwerben. 1912 konnte für 300.000 Mark die Besitzübertragung erfolgen. Auch für Baron von Heyl war daher der „Schmuck der Kaiserinnen“ ein gutes Geschäft. Das „Deutsche Museum“ Wilhelm von Bodes wurde durch Krieg und Revolution bedingt erst 1930 eröffnet und der Schmuck schließlich dem Kunstgewerbemuseum überwiesen, wo er über Jahrzehnte hinweg als das Hauptwerk des mittelalterlichen Schmucks in Deutschland galt.

Quelle: Hessisches Landesmuseum Darmstadt


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