Ausbildungskampagne weckt neues Lebensgefühl

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Erstmals starten die deutschen Industrie- und Handelskammern eine bundesweite Ausbildungskampagne, die die IHK Darmstadt Rhein Main Neckar zum Auftakt am 9. März 2023 vorgestellt hat. Die Kampagne unter dem Hashtag #könnenlernen spricht direkt die Zielgruppe der potenziellen Auszubildenden an. Sie lässt ein Lebensgefühl entstehen, das sonst eher aus der Welt des Studiums bekannt ist. Zudem stützt die Kampagne das, was der Generation Z fehlt: Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Der Handlungsbedarf ist groß: Noch nie gab es weniger Bewerber auf Ausbildungsplätze wie aktuell. Das zeigen nicht nur die Zahlen aus Südhessen.

„Ausbildung macht mehr aus uns“ – lautet der Claim der ersten bundesweiten Ausbildungskampagne der 79 deutschen Industrie- und Handelskammern. „Die Kampagne weckt ein Lebensgefühl Ausbildung“, erläutert der Hauptgeschäftsführer der IHK Darmstadt, Robert Lippmann. „Das ist das, was der Ausbildung im Gegensatz zu Studium und Handwerk fehlt.“ Zudem will die Kampagne, die von der Hamburger Agentur „thjnk“ entwickelt wurde, das Selbstwertgefühl junger Menschen verbessern, das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten stärken. „Denn Ausbildung ist die Antwort auf Orientierungslosigkeit und Zukunftssorgen. Junge Menschen können mitgestalten, und sie erleben in der Ausbildung ganz direkt, dass sie alles lernen können, was sie für ihre Zukunft brauchen“, so Lippmann. „So ist auch der Hashtag der Kampagne #könnenlernen zu verstehen.“

Die Protagonisten der Kampagne sind neun echte Auszubildende aus ganz Deutschland. Sie erzählen vor allem auf Sozialen Medien wie etwa TikTok über ihre Ausbildung und was die Ausbildung aus ihnen macht. Jede einzelne IHK verlängert die Ausbildungskampagne über die eigenen Kanäle, Printmedien oder Werbung im öffentlichen Raum. „Wir werden starke Akzente in Südhessen setzen, weil wir alles daransetzen, dass unsere starke Region auch weiter starke Fachkräfte hat“, so der Hauptgeschäftsführer. „Und die Kampagne wird umso durchdringender und erfolgreicher desto mehr unserer Mitgliedsunternehmen mitmachen.“ Die Mitgliedsunternehmen können das Kampagnenmaterial individuell für sich nutzen.

Noch nie so wenige Bewerber

„Die Kampagne kommt genau zum richtigen Zeitpunkt“, betont IHK-Präsident Matthias Martiné. „Denn sowohl die aktuellen Bewerberzahlen als auch der sich fortschreibende Fachkräftemangel geben Anlass zur Sorge.“ Noch nie gab es so viele unbesetzte Ausbildungsstellen wie zum aktuellen Ausbildungsjahr, das im September 2022 begonnen hat. Und noch nie waren die Bewerberzahlen so niedrig wie zuletzt. Die Agentur für Arbeit zählt für den Agenturbezirk Darmstadt 3.910 Bewerberinnen und Bewerber auf 4.080 gemeldete offene Stellen. „Damit gibt es erstmals mehr Ausbildungsplätze als Bewerber. Das habe ich noch nie erlebt“, sagt Hans-Heinrich Benda, Geschäftsbereichsleiter Aus- und Weiterbildung der IHK Darmstadt. Vor Corona lagen die Bewerberzahlen bei noch 5.190. Innerhalb von nur drei Jahren sind die Zahlen um 1.280 Bewerber zurückgegangen. „Wo sind all die jungen Menschen geblieben“, fragt Benda. Denn gleichzeitig haben sich bundesweit auch die Studienanfängerzahlen rückläufig entwickelt. Auch der leichte Rückgang bei der Zahl der Schulabgänger könne diese Entwicklung nicht vollends erklären. Der Trend zeigt sich in ganz Hessen, wie die Zahlen der Arbeitsagentur nahelegen. Hessenweit sind die Bewerberzahlen von 2019 bis 2022 um 8.330 junge Menschen gesunken.

„Während Corona ist offensichtlich eine große Zahl junger Menschen im wahrsten Sinne des Wortes verloren gegangen. Sie tauchen in keiner Statistik auf.“ Geschäftsbereichsleiter Benda sieht eine Ursache dafür in der fehlenden Berufsorientierung, die unter Corona an den meisten Schulen unter Tisch gefallen sei. „Die Berufsorientierung muss mindestens wieder das Vor-Corona-Niveau erreichen, damit die Schüler ihre beruflichen Perspektiven überhaupt kennenlernen.“ Dennoch gibt es wieder Licht am Horizont: Die Zahl der geschlossenen Ausbildungsverträge ist gegenüber dem Vorjahr wieder etwas angestiegen. Und nach Vorausberechnungen des Hessischen Landesamtes für Statistik werden die Schulabgängerzahlen in den kommenden Jahren wieder leicht steigen.

Vielfältige Vorzüge der Ausbildung

„Dennoch sehen wir dringenden Handlungsbedarf“, unterstreicht IHK-Präsident Martiné. „„Ausbildung ist ebenso wertvoll wie ein Studium und ein deutlich schnellerer Karrierestart“, ist Martiné überzeugt. Dennoch entscheiden sich von Jahr zu Jahr immer weniger Abiturienten für einen Ausbildungsberuf. „Möglicherweise steht an Gymnasien die Studienorientierung im Vordergrund, anstatt sie der Berufsorientierung gleichzustellen“, meint Martiné. Dabei sind die Vorzüge einer Ausbildung vielfältig: Mit dem Handwerk zusammen gibt es über 320 Ausbildungsberufe. Die Ausbildungszeit wird vergütet, man wird praktisch im Betrieb ausgebildet, und es gibt vielfache Weiterbildungs- und Spezialisierungsangebote, über die zum Beispiel ein Abschluss als Meister, Fachwirt oder Bachelor möglich ist. Auch ist es möglich, über eine gute Ausbildung eine Zugangsberechtigung für die Hochschule zu erwerben – ganz ohne Abitur.

„Wir brauchen eine deutliche Trendwende bei der dualen Ausbildung“, sagt IHK-Präsident Martiné vor dem Hintergrund des fortschreitenden Fachkräftemangels. Mehr als die Hälfte der 22.000 befragten Unternehmen (53 %) geben laut Fachkräftereport der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) an, dass sie nicht mehr alle Stellen besetzen können. Im Maschinenbau sind es sogar 67 Prozent und im Fahrzeugbau 65 Prozent der Betriebe. Am häufigsten scheitern die Unternehmen mit Stellenbesetzungsschwierigkeiten bei der Einstellung von Fachkräften mit dualer Berufsausbildung (48 Prozent) und von Auszubildenden (39 Prozent). Die DIHK geht davon aus, dass bundesweit zwei Millionen Stellen dauerhaft vakant bleiben. Laut einer aktuellen Kfw-Studie wird in den kommenden drei Jahren die inländische Erwerbsbevölkerung um weitere 1,5 Mio. Personen abnehmen, die der Rentner um rund 700.000 steigen.

Quelle & Bild: Industrie- und Handelskammer (IHK) Darmstadt Rhein Main Neckar


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