Sechs Millionen Euro für wegweisende Forschungsprojekte – Europäischer Forschungsrat fördert drei Vorhaben an TU Darmstadt mit ERC Consolidator Grants

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Dreifacher Erfolg für die TU Darmstadt in der aktuellen Förderrunde des Europäischen Forschungsrats (ERC): Eine Professorin und zwei Professoren werden für ihre Projekte zu visueller Wahrnehmung, Künstlicher Intelligenz und Rasterelektronenmikroskopie mit renommierten ERC Consolidator Grants ausgezeichnet. Über eine Laufzeit von fünf Jahren fördert die Europäische Union die Forschungsvorhaben mit jeweils rund zwei Millionen Euro.

Der ERC hat für die aktuelle Förderrunde drei Forschende der TU Darmstadt ausgewählt: Professorin Eva Kaßens-Noor (Fachbereich Bau- und Umweltingenieurwissenschaften) und ihr Projekt “scAInce”, Professor Leopoldo Molina-Luna (Fachbereich Material- und Geowissenschaften) mit “ELECTRON” und Professor Thomas Wallis (Fachbereich Humanwissenschaften) mit “SEGMENT”. Der Consolidator Grant richtet sich an Forschende aus allen Disziplinen, die bereits exzellente Arbeiten vorweisen können und nun bei bahnbrechenden Forschungsvorhaben zur Erlangung wissenschaftlicher Konsolidierung unterstützt werden sollen.

Die Präsidentin der TU Darmstadt, Professorin Tanja Brühl, sagte: „Ich gratuliere den drei Preisträger:innen herzlich zu dieser hohen Auszeichnung! Alle drei forschen in interdisziplinären Zusammenhängen. Mit den ERC-Mitteln werden sie innovative Projekte umsetzen und einen wichtigen Beitrag zum Forschungsprofil der TU Darmstadt leisten.“

Projekt „scAInce“
Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Städten. Hier ballen sich in konzentrierter Form ökologische, wirtschaftliche und soziale Herausforderungen. Wie sollen diese angegangen werden? Ist der Einsatz von Technologie hilfreich oder schafft er neue, eventuell sogar größere Probleme? Ein Lösungsansatz sind sogenannte Smart Cities, also „intelligente“ Städte, in denen moderne Technologie wie zum Beispiel Künstliche Intelligenz (KI) eingesetzt wird, um Ressourcen besonders effizient und nachhaltig zu nutzen. Doch sind intelligente Städte auch wirklich nachhaltiger? Viele Fragen, auf die das Projekt „scAInce“ Antworten finden soll.

Die Forschenden um Professorin Eva Kaßens-Noor wollen dabei herausfinden, wie Künstliche Intelligenz und die damit verbundenen Technologien urbane Systeme bereits verändert haben, ob sie urbane Systeme überhaupt verändern können und wie sie urbane Systeme zukünftig verändern werden, und ob der technologische Wandel tatsächlich zu einem nachhaltigeren Leben in Städten führt. Ziel soll ein Modell sein, das erklärt, warum und wie sich Städte durch Künstliche Intelligenz und die damit verbundenen Technologien verändern. Städte könnten dann, basierend auf ihren Nachhaltigkeitszielen, mit Hilfe des entwickelten Modells entscheiden, welche Technologie für ihre spezifischen Anforderungen zum Einsatz kommen soll.

Projekt „ELECTRON“
Im Rahmen des Projekts „ELECTRON“ wird Professor Leopoldo Molina-Luna eine Messtechnik entwickeln, die es ermöglicht, “gehirnähnliche” elektrische Aktivität etwa in funktionsfähigen memristiven Bauteilen direkt abzubilden. Memristive Bauteile sind eine besondere Art von nichtflüchtigen Datenspeichern, die mit elektrischen Widerständen arbeiten und sich zum Beispiel für den Bau neuronaler Netze eignen. Ziel des Vorhabens ist es, in einem Rastertransmissionselektronenmikroskop (STEM) erstmals elektronenstrahlinduzierte Stromflüsse (EBIC) im laufenden Betrieb abzubilden. Das geschieht in ähnlicher Weise wie bei der funktionellen Magnetresonanztomographie in den Neurowissenschaften, die den Blutfluss im Gehirn verfolgt: Teile, die benutzt werden, leuchten in der Abbildung auf. Die Technik, an der Molina-Luna und sein Team forschen, wird eine einzigartige und neue Möglichkeit bieten, die elektrische Aktivität in funktionierenden Geräten auf atomarer Ebene zu visualisieren und Rückschlüsse auf das elektrische Potenzial, das elektrische Feld, die Austrittsarbeit, die Leitfähigkeit und die Temperatur zu erhalten. Es erlaubt eine direkte Beobachtung von thermischen und elektronischen Veränderungen in Materialien oder elektronischen Geräten unter realistischen Bedingungen. Die neue Methode trägt dazu bei, Hochleistungs-Bauteile und neue Materialien zu entwickeln, zu untersuchen und zu integrieren – ein Schlüssel zu industriellen Innovationen des 21. Jahrhunderts.

Projekt „SEGMENT“
Im Projekt „SEGMENT“ untersucht Professor Thomas Wallis mit seinem Team die sogenannte visuelle Segmentierung: Dabei versucht das menschliche Gehirn zu erkennen, welche Teile einer etwa auf einem Foto dargestellten Szene zu welchen Objekten gehören. Die Forschenden wollen herausfinden, wie Menschen dafür Informationen aus dem aktiven 3D-Sehen kombinieren und wie sie aus visuellen Erfahrungen diese Kombination erlernen können. Dazu wollen sie ein neues Anzeigegerät und experimentelle Methoden entwickeln sowie Eingaben in das visuelle System von der frühen Entwicklung bis zum Erwachsenenalter simulieren. Geplant ist die Nutzung bahnbrechender neuer Technologien auf Grundlage fortschrittlicher Computergrafik und maschinellem Lernen.

Vorgesehen sind außerdem Experimente am Computer mit künstlichen neuronalen Netzen, um das Segmentierungslernen zu verstehen. Dabei wollen die Darmstädter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedene Faktoren wie die Optik oder die Bewegung der Augen systematisch einschränken oder manipulieren. Das erlernte Verhalten der künstlichen Netze soll schließlich mit dem Verhalten Erwachsener bei der Segmentierung bei der aktiven Erkundung von 3D-Szenen verglichen werden. „Wir wollen Gemeinsamkeiten und Unterschiede nutzen, um ein grundlegendes Rätsel der Wahrnehmung besser zu verstehen: wie der Verstand den Sinn von Szenen erkennt“, erklärt Wallis.

Die Trägerin und die Träger der ERC Consolidator Grants

Eva Kaßens-Noor ist seit 2022 Professorin an der TU Darmstadt und leitet das Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik. Sie forscht vor allem an nachhaltigen und emissionsfreien Verkehrssystemen, Extremwetterereignissen und Künstlicher Intelligenz.
Sie studierte an der Universität Karlsruhe und am Massachusetts Institute of Technology (MIT), USA. Es folgten Forschungsaufenthalte in Barcelona (Spanien), am University College London (Großbritannien) und in Sydney (Australien). Nach der Promotion am MIT arbeitete sie als Professorin an der Michigan State University (USA).

Leopoldo Molina-Luna ist seit März 2020 Professor an der TU Darmstadt und leitet das Fachgebiet Advanced Electron Microscopy (AEM) am Institut für Materialwissenschaft (Fachbereich Material- und Geowissenschaften) sowie das In Situ Microstructural Analytics Lab des Center for Reliability Analytics (CRA). Er wurde im Fach Physik an der Eberhard Karls Universität Tübingen promoviert und war anschließend Postdoc an einem der weltweit führenden Zentren für Elektronenmikroskopie, dem EMAT in Antwerpen. Sein Postdoc-Fellowship dort wurde durch einen ERC Advanced Grant gefördert. Im Jahr 2018 erhielt er einen ERC Starting Grant (Projekt FOXON) und 2020 einen ERC Proof-of-Concept Grant (Projekt STARE), sowie einen MIT-Germany Global Seed Fund. Seine aktuellen Forschungen konzentrieren sich auf das Verständnis von Struktureigenschaftskorrelationen in funktionalen Materialien für die Energietechnik sowie auf die Entwicklung von in situ/operando Transmissionselektronenmikroskopie. Molina-Luna arbeitet mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern weltweit eng zusammen und hat mehrere Kooperationspartner in der Industrie.

Thomas Wallis ist seit 2021 Professor für Perception am Institut für Psychologie und Zentrum für Kognitionswissenschaft der TU Darmstadt. Er forscht vor allem zur visuellen Wahrnehmung bei Menschen und Maschinen, maschinellem Lernen und kognitiver Modellierung sowie zu Anwendungen der visuellen Wahrnehmungsforschung.
Der Australier (Jahrgang 1983) promovierte 2010 an der University of Queensland in Australien. Anschließend forschte er am Schepens Eye Research Institute und der Harvard Medical School in den USA sowie am Zentrum für Integrative Neurowissenschaften und dem Fachbereich Informatik der Eberhard Karls Universität Tübingen. Von 2019 bis 2021 war Wallis Forscher bei Amazon Deutschland.

Hintergrund
Die ERC Consolidator Grants werden vom Europäischen Forschungsrat an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus allen Disziplinen im Zeitraum von sieben bis zu zwölf Jahren nach der Promotion vergeben. Damit fördert die Europäische Union vielversprechende Forschung: Der Consolidator Grant richtet sich an Forschende, die bereits exzellente Arbeiten vorweisen können und nun bei Ihren bahnbrechenden Forschungsvorhaben zur Erlangung wissenschaftlicher Konsolidierung unterstützt werden sollen. In der aktuellen Runde wurden 321 Grants vergeben, 2.222 Anträge waren eingereicht worden.

Quelle: TU Darmstadt


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