Hermann Kesten-Preis des deutschen PEN 2022 an Meena Kandasamy – Förderpreis für das Portal „Weiter Schreiben“

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Die Auszeichnung des PEN-Zentrums Deutschland, gestiftet vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, geht in diesem Jahr an die streitbare Dichterin [[Meena Kandasamy]] aus Indien. Der Preis ist mit 20.000 Euro dotiert. Mit dem Hermann Kesten-Förderpreis wird das Portal „Weiter Schreiben“ für Literat*innen aus Kriegs- und Krisengebieten geehrt.

Die Verleihung der Preise findet am 15. November 2022 um 19 Uhr in den Kammerspielen des Staatstheaters Darmstadt statt.

Cornelia Zetzsche, Vizepräsident des deutschen PEN-Zentrums: „Meena Kandasamy ist eine furchtlose Kämpferin für Demokratie und Menschenrechte, für das freie Wort und gegen die Unterdrückung von Landlosen, Minderheiten und Dalit in Indien; keine ‚Ms Angenehm‘, eher eine ‚Ms Militancy‘, wie eines ihrer Bücher heißt. Mit Empathie, analytischer Schärfe und literarischem Furor fährt sie durch patriarchale, feudale Strukturen und benennt in Reden und Schriften Gewalt gegen Frauen, Folgen eines ungezügelten Kapitalismus und ein Massaker an Bauern in Südindien.“

Hessens Kunst- und Kulturministerin Angela Dorn: „Meena Kandasamy rebelliert in ihren Büchern gegen Ungleichheit und Repression. Sie gibt Gewaltopfern eine Stimme und meldet sich zu Wort, wann immer Intellektuelle, Oppositionelle, Akademikerinnen und Akademiker in Bedrängnis sind. Die Online-Plattform ,Weiter Schreiben‘ trägt im Namen den Herzenswunsch, der Schriftstellerinnen und Schriftsteller im Exil bewegt – und setzt ihn in Form von Tandems mit renommierten deutschsprachigen Autorinnen und Autoren in die Tat um. Ihre Stimme weiter zu lesen und zu hören ist essentiell in einer Welt, in der die brutale Unterdrückung abweichender Meinungen in zu vielen Ländern leider Realität ist. Meena Kandasamy und die Organisation ,Weiter Schreiben‘ sind sehr würdige Preisträgerinnen des Hermann Kesten-Preises und des Hermann Kesten-Förderpreises sowie eine unschätzbare Bereicherung der Literaturlandschaft.“

1984 in Chennai (damals Madras)/ Tamil Nadu wurde sie geboren. Die Eltern waren Akademiker, aber als Angehörige niederer Kasten der Diffamierung und Benachteiligung ausgesetzt, sie engagierten sich gegen das Kastensystem. Das hat die Tochter geprägt.

Ihre Romane erzählen von politisch-historischen und zugleich höchst aktuellen Ereignissen. Mit „Ayaankali“ übersetzte sie den oppositionellen Aktivisten und Dalit-Führer Thirumavalan aus Tamil Nadu ins Englische, später auch tamilische Dichterinnen, die – wie sie – gegen die Unterdrückung von Frauen, gegen Ausbeutung, gegen Klasse, Kaste und Rassismus kämpfen.

Unerschrocken tritt Meena Kandasamy für Schriftsteller-Kolleg*innen ein, ob für den 81jährigen großen Telugu-Dichter Varvara Rao, der einen Anschlag gegen Premier Narendra Modi geplant haben soll, oder für den Gelehrten, Schriftsteller und Menschenrechtler G.N. Saibaba, der wegen angeblicher Nähe zu Marxisten seit 2015 mehrmals inhaftiert, immer wieder vom Supreme Court Indiens freigesprochen, aber 2017 erneut zu lebenslanger Haft verurteilt wurde – trotz des Protests der Vereinten Nationen. Zusammen mit Arundhati Roy stellte Meena Kandasamy im Mai 2022 G.N. Saibabas neuen Gedichtband vor, der im Gefängnis entstand. Schon das ist in Indien heute eine mutige Demonstration.

Meena Kandasamy ist eine wortgewandte Schriftstellerin, Übersetzerin und Herausgeberin der englischsprachigen Zeitschrift „The Dalit“, Feministin und Aktivistin für Rede- und Pressefreiheit. Lange wohnte sie in London, jetzt lebt sie wieder in Indien, dessen hindunationalistischer Regierungschef und seine Partei (BJP) die Gesellschaft zutiefst spalten, Brennpunkte schafften und Gewalt provozieren. Entsprechenden Anfeindungen ist sie ausgesetzt. Auf Deutsch liegen ihre Bücher bei CulturBooks und Wunderhorn vor: „Schläge. Ein Porträt der Autorin als junge Ehefrau“ (2020) und „Reis und Asche“ (2016).

Für ihren Kampf um Demokratie und Menschenrechte, für das freie Wort und gegen die Unterdrückung von Schriftstellerkolleg*innen, Akademiker wie Landlose, Minderheiten und Dalit in Indien, erhält Meena Kandasamy den Hermann Kesten-Preis 2022.

„Weiter Schreiben. jetzt“ ist eine literarische Plattform für Autor*innen aus Kriegs- und Krisengebieten, die in Deutschland Zuflucht fanden, hier eine Perspektive suchen und weiter schreiben und gelesen werden wollen. In Tandems mit deutschsprachigen Kolleg*Innen veröffentlichen sie Lyrik, Prosa und Briefwechsel, organisieren Begegnungen verschiedenster Art, auch Veranstaltungen. Gegründet wurde die Initiative 2017, künstlerisch geleitet wird es von der Autorin Annika Reich und der Literaturwissenschaftlerin Ines Kappert. Längst ist das weit verzweigte Netzwerk auch in Österreich, Polen, der Schweiz und „Mondial“ aktiv, mit über 120 Autor*innen. Entstanden sind ein Printmagazin, einen Podcast, ein Hörbuch und eine Anthologie mit dem Titel „Das Herz verlässt keinen Ort, an dem es hängt“.

„Aus einem Projekt für Geflüchtete wurde „Weiter Schreiben“ über die Jahre zu einem spannenden, nachdenklichen, berührenden, interkulturellen Austausch, der die bundesrepublikanische Wirklichkeit weitet. Das zivilgesellschaftliche Engagement für verfolgte Autor*innen motiviert, hinterfragt Klischees, öffnet Fenster in die Welt“, heißt es in der Jurybegründung.

Der Hermann Kesten-Preis würdigt Persönlichkeiten, die sich im Sinne der Charta des internationalen PEN in besonderer Weise für verfolgte und inhaftierte Schriftsteller und Journalistinnen einsetzen. Zu den bisherigen Preisträgerinnen und Preisträgern gehören Günter Grass, Anna Politkowskaja, Liu Xiaobo, Can Dündar und Erdem Gül, Gioconda Belli sowie Philippe Lançon. Erstmals im Jahr 2000 stiftete das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst ein Preisgeld in Höhe von 10.000 Euro. 2022 hob das Ministerium seine Förderung für den Preis auf 20.000 Euro an. Seit 2015 wird zusätzlich alle zwei Jahre der Hermann Kesten-Förderpreis vergeben, der vor allem die Arbeit von Institutionen und Vereine würdigt, die sich für inhaftierte Autoren eingesetzt haben. Das Preisgeld stiftet ebenfalls das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst. Bisherige Preisträger waren Gefangenes Wort e.V, Translate for Justice sowie Direkt36 und Mada Masr. 2022 stieg die Preissumme des Hermann Kesten-Förderpreises von 3.000 auf 5.000 Euro.

Quelle: PEN-Zentrum Deutschland e.V.


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