Absichtserklärung zum Bündnis für Grundbildung unterzeichnet – Wirtschaft und Wissenschaftsstadt Darmstadt wollen Analphabetismus gemeinsam bekämpfen

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Buch„In Deutschland leben 7,5 Millionen funktionale Analphabeten, also Menschen, deren vorhandene Lese- und Schreibkenntnisse geringer sind, als die erforderlichen und selbstverständlich in der Gesellschaft vorausgesetzten. Das heißt, ihre Fähigkeiten reichen noch nicht, um kürzere Texte zu lesen und zu schreiben“, sagt Wolfgang Drechsler, Geschäftsführer Vereinigung hessischer Unternehmerverbände, Geschäftsstelle Darmstadt und Südhessen (VhU). Umgerechnet auf Darmstadt bedeute dies gut 16.000 funktionale Analphabeten in der Wissenschaftsstadt.

Diese Tatsache haben sich die VhU und die Wissenschaftsstadt Darmstadt zum Anlass genommen, am Donnerstag, 1.12.2011, im Haus der Wirtschaft Südhessen eine Absichtserklärung zu unterzeichnen und damit ein „Bündnis für Grundbildung“ zu schließen.

„In Deutschland gehen wir davon aus, dass jeder junge Mensch mindestens neun Jahre die Schule besucht und damit ausreichend lesen, schreiben und rechnen kann. Die Realität sieht anders aus. Allein 614 Menschen, die zurzeit vom Jobcenter Darmstadt betreut werden, verfügen über keinen Schulabschluss; 93 davon sind unter 25 Jahre alt. Viele Erwachsene haben diese grundlegenden Kenntnisse nicht gelernt oder sie im Laufe ihres Lebens wieder verlernt“, erklärt Barbara Akdeniz, Sozialdezernentin der Wissenschaftsstadt Darmstadt.

Die begrenzten Fähigkeiten stellen für die Betroffenen ein hohes Arbeitsmarktrisiko dar und beeinträchtigen deren gesamte Lebensqualität. Überdies erschwert mangelnde Grundbildung die erfolgreiche Teilnahme an Fortbildungsangeboten der Agentur für Arbeit, Jobcentern oder anderen Qualifizierungseinrichtungen. Damit wird auch die nachholende Bildung und Fortbildung beeinträchtigt. „Funktionaler Analphabetismus wird angesichts des Fachkräftebedarfs ein zunehmendes Problem der Gesellschaft und der Wirtschaft. Wir als Unternehmensvertreter haben ein besonderes Interesse daran, die Qualifizierbarkeit und Beschäftigungsfähigkeit der Betroffenen zu fördern. Im Rahmen unserer gesellschaftspolitischen Aktivitäten wollen wir mithelfen, das Arbeitslosigkeits- und Armutsrisiko durch gemeinsame Anstrengungen zu verringern“, beschreibt Drechsler die Motivation für die Zusammenarbeit.

Auch Akdeniz sieht die Notwendigkeit einer ausreichenden Bildung in allen Lebensbereichen. „Ohne Grundbildung sind Menschen nur unzureichend in der Lage, ihre Lebensverhältnisse langfristig zu verbessern und sich für ihre Interessen einzusetzen. Hier gilt es gegenzusteuern. Die Herausforderung ist, die Menschen in den Blick zu nehmen und so zu qualifizieren und zu fördern, dass sie in dem von Abschlüssen geprägten deutschen Arbeitsmarkt eine Chance haben und somit die Integration in Ausbildung, Arbeit und Gesellschaft ermöglicht wird.“

Hierzu sollen Kooperationen zwischen der Wirtschaft und dem Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft (bwhw), der Agentur für Arbeit und Jobcentern entstehen. Ziel ist es, zunächst das Bewusstsein in der Gesellschaft und in den Unternehmen für die Problematik zu schärfen. „Da die Ausgangslagen der Betroffenen unterschiedlich sind, gibt es jedoch hinsichtlich der Angebote keinen Königsweg“, sagt Drechsler. Hier bieten etwa die „Lese-, Schreib- und Rechenwerkstätten“ des bwhw eine individuelle und teilnehmerorientierte Bildung an. Darüber hinaus sind langfristig aber auch arbeitsplatzorientierte Grundbildung und die Nutzung von Qualifizierungsangeboten am Arbeitsplatz geplant.

Flankiert werden die Aktivitäten vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln, das sich seit einigen Jahren im Rahmen eines Forschungs- und Entwicklungsvorhabens mit dieser Thematik beschäftigt und dazu auch explorative Studien in südhessischen Unternehmen durchgeführt hat. „Es gibt eine Reihe nachahmenswerter Ansätze zur Förderung von Grundbildung in Unternehmen“, sagt Helmut E. Klein, Projektleiter im IW Köln. Um in der Fläche etwas bewegen zu können, müsse allerdings die Politik in die Pflicht genommen. „Denn“, so Klein, „staatliche Programme zur Förderung der Grundbildung für den Arbeitsplatz von geringqualifizierten Personen liegen – anders als etwa im Vereinigten Königreich und Irland – nicht vor“. Nachzulesen ist das in der Publikation „Arbeitsplatzbezogene Grundbildung – Leitfaden für Unternehmen“, die auf der Pressekonferenz vorgestellt wird.

Quelle: Pressestelle der Wissenschaftsstadt Darmstadt


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