Extrem seltener Zerfall – Internationales Forschungsteam bestätigt TU-Erkenntnisse zu einer neuen Art der Radioaktivität

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Vor fünf Jahren entdeckte ein Team aus der Kernphysik der TU Darmstadt die neue, vergleichsweise selten vorkommende Art von Radioaktivität, den „Kompetitiven Doppelt-Gammazerfall“, der 1937 von der Nobelpreisträgerin Maria Goeppert-Mayer theoretisch vorhergesagt worden war. Die damals in „Nature“ publizierten Erkenntnisse sind jetzt durch ein internationales Forschungsteam an der europäischen Extreme Light Infracstructure-Nuclear Physics bei Bukarest, Rumänien, bestätigt und präzisiert worden. Die Ergebnisse sind veröffentlicht in „Nature Communications“. Einer der Autoren ist der TU-Professor und damalige „Mitentdecker“, Norbert Pietralla.

Im Oktober 2015 veröffentlichte ein Team der Technischen Universität Darmstadt im Magazin „Nature“ die Entdeckung einer neuen Variante von Radioaktivität. Es handelt sich um eine sehr selten auftretende Spielart der Gammastrahlung, bei der ein radioaktiver Quantenzustand eines Atomkerns gleichzeitig zwei Gamma-Quanten, also hochenergetische Lichtteilchen mit Wellenlängen unterhalb des Röntgenbereichs, aussendet und so über einen Quantensprung in einen energetisch niedrigeren Zustand übergeht, obwohl dieser Quantensprung auch durch die Aussendung nur eines einzigen Gamma-Quants möglich gewesen wäre. Dieser seltene Prozess wird in der Wissenschaft „kompetitiver Doppelt-Gammazerfall“ genannt und mit dem Symbol „γγ/γ“ bezeichnet. Die Darmstädter Kernphysiker beobachteten im Nuklid Ba-137, dass dieser Prozess dort nur mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa zwei zu einer Million auftritt.

Leitung durch einen ehemaligen TU-Postdoktoranden

Nun bestätigt eine internationale Forschungsgruppe aus Rumänien, Japan, Italien und Deutschland die Existenz des γγ/γ Zerfalls. Die kernphysikalischen Messungen wurden an der mit Fördergeldern der EU eingerichteten Europäischen Extreme Light Infrastructure – Nuclear Physics (ELI-NP) am rumänischen National-Laboratorium IFIN-Horia Hulubei bei Bukarest mit einer über zwei Jahre eigens hierfür aufgebauten und betriebenen Messapparatur durchgeführt. Das Experiment wurde von dem an der europäischen Anlage beschäftigten schwedischen Wissenschaftler Pär-Anders Söderström geleitet, der sich zuvor im Institut für Kernphysik der TU Darmstadt als Postdoktorand in der Arbeitsgruppe von dem an der Entdeckung beteiligten Professor Norbert Pietralla wissenschaftlich weitergebildet hatte. Die neuen Messdaten bestätigen die Wahrscheinlichkeit, mit der diese Variante der Radioaktivität auftritt, und bestimmen diese nun noch genauer.

Kernstrukturmodelle müssen revidiert werden

Die genaueren Messdaten liefern neue Erkenntnisse über die Eigenschaften und die wissenschaftlichen Anwendungsmöglichkeiten der neuen Art von Radioaktivität. Durch eine im Vergleich zu den Darmstädter Daten präziseren Vermessung der Energieverteilung auf die beiden Gamma-Quanten im Doppelt-Gammazerfall konnten neue Schlussfolgerungen über deren elektromagnetischen Strahlungscharakter gezogen werden. Die neuen Daten zeigen, dass es sich beim γγ/γ Zerfall im Nuklid Ba-137 um eine Kombination von elektrischer Oktupol- und magnetischer Dipolstrahlung aus dem Atomkern handelt. Diese Beobachtung steht im Widerspruch zu einfachen Kernstrukturmodellen, mit denen die Darmstädter Entdeckungen zunächst verglichen worden waren und die eine Kombination von elektrischer und magnetischer Quadrupolstrahlung als Hauptursache des γγ/γ Zerfall im Nuklid Ba-137 verantwortlich machten.

Eine in der Nukleartheorie weltweit führende Wissenschaftlergruppe aus Japan konnte nun die Dominanz von elektrischer Oktupol- und magnetischer Dipolstrahlung am γγ/γ Zerfall im Nuklid Ba-137 durch aufwändige Berechnungen auf dem japanischen Supercomputer K am Tokioter Forschungszentrum RIKEN auch nukleartheoretisch erklären. Die Computer-Modelle zeigen, dass die γγ/γ-Zerfallsprozesse sehr sensitiv auf die Interaktion von Protonen und Neutronen in einem Atomkern sind und sich daher als Präzisionstests für unser wissenschaftliches Verständnis der Struktur von Atomkernen und der Kernkräfte besonders eignen.

Quelle TU Darmstadt


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