Wissenschaftsstadt Darmstadt, Jüdische Gemeinde und TU Darmstadt erinnern an Reichspogromnacht

Teilen

SynagogeMit einem Veranstaltungsprogramm vom 8. bis 11. November 2018 erinnern die Wissenschaftsstadt Darmstadt, die Jüdische Gemeinde und die TU Darmstadt in diesem Jahr an die Reichspogromnacht am 9. November 1938. Stadt und Gemeinde feiern zudem 30 Jahre Neue Synagoge in Darmstadt. Eine Besonderheit der diesjährigen Gedenkfeierlichkeiten ist, dass ehemalige jüdische Bürgerinnen und Bürger aus Darmstadt daran teilnehmen werden, die seinerzeit nach Israel, die USA, Dänemark oder Österreich vertrieben wurden oder emigriert sind.

„Darmstadt ist eine Stadt, in der die Erinnerungsarbeit im gesellschaftlichen Leben fest verankert ist“, betont Oberbürgermeister Jochen Partsch. Jedes Jahr gestalten wir mit Kooperationspartnern das ‚Darmstädter Gedenkjahr – Gegen das Vergessen!‘. Das Gedenken an und das Aufklären über die Zeit des Nationalsozialismus sind ein zentraler Bestandteil dieser Erinnerungsarbeit. Einige der Beteiligten des interdisziplinären Projekts sind seit vielen Jahren wichtige Partnerinnen und Partner aus der Zivilgesellschaft in dieser Arbeitsgruppe. Die diesjährigen jüdischen Kulturwochen sind außerdem Ausdruck der lebendigen jüdischen Kultur in unserer Stadt. Mit den Gedenkfeierlichkeiten zur Reichspogromnacht und dem Jubiläum der Neuen Synagoge wollen wir dieser lebendigen Erinnerungsarbeit in diesem Jahr einen besonderen Rahmen geben. Es ist uns daher eine besondere Ehre, dass sechs ehemalige jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger unserer Einladung nach Darmstadt mit ihren Familien und Angehörigen gefolgt sind, um gemeinsam mit uns der Pogromnacht vor 80 Jahren am 9. November zu gedenken und auch das 30jährige Jubiläum der Neuen Synagoge zu feiern. Die Darmstädter Synagoge ist uns Mahnmal und Symbol zugleich: Ein Symbol dafür, dass es in Darmstadt wieder eine blühende jüdische Gemeinde gibt; ein Mahnmal, das uns an die Ermordung von Millionen jüdischer Menschen erinnert und uns auffordert, jederzeit für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte einzustehen.“

„Der 9. November symbolisiert für uns ein ausgesprochen ambivalentes Datum, was sich an runden Daten besonders herauskristallisiert“, sagt Daniel Neumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Darmstadt. „80 Jahre Pogromnacht, also die Erinnerung an die brennenden, zerstörten und geschändeten jüdischen Gotteshäuser in ganz Deutschland und gleichzeitig 30 Jahre Neue Synagoge Darmstadt, also die mit jedem Baustein dokumentierte Absicht, jüdisches Leben in Darmstadt wieder zu verstetigen. Die Trauer über die unermesslichen Verluste ringt an diesen Tagen mit der Freude über das Überleben und der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Jüdisches Leben hat seinen Platz im Herzen Darmstadts inzwischen wiedergefunden, lebendig, offen und plural. Doch die Wunden der Vergangenheit haben sichtbare Spuren hinterlassen und werden zumindest uns Juden nie vergessen lassen. Um es mit den Worten des früheren Vorsitzenden des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen, Max Willner, auszudrücken: ,Die Vergangenheit nicht vergessen, in der Gegenwart leben und für die Zukunft hoffen‘.“

Die Gedenkfeierlichkeiten starten am Freitag, 9. November, um 9 Uhr mit Zeitzeugengesprächen mit Schülerinnen und Schülern im Jüdischen Gemeindezentrum. Um 11 Uhr folgt dort die Gedenkfeier „80 Jahre Pogromnacht“ mit musikalischer Begleitung durch die Cellistin Susan Salm und der Pianistin Lynn Stodola. Susan Salm ist die Tochter von Erna Salm, einer ehemaligen Darmstädter jüdischen Mitbürgerin. Erna Salm war Pädagogin an der Akademie für Tonkunst, unterrichtete beispielsweise die Meisterklasse Piano und flüchtete während der NS-Zeit in die USA. Um 12.30 Uhr wird die Ausstellung „Gedankenstriche“ von Friedrich Danielis eröffnet. Am Samstag, 10. November gibt es zudem um 19 Uhr ein Konzert, das gleichzeitig Teil des Programms der Jüdischen Kulturwochen ist. Am Sonntag, 11. November, gibt es um 11 Uhr dann die Feierstunde „30 Jahre Neue Synagoge“.

Eine Woche nach den Feierlichkeiten werden bei einer Gedenkfeier am 16. November auch die Ergebnisse des interdisziplinären Projekts „80 Jahre Reichspogromnacht – Darmstädter Schüler und Schülerinnen und Studierende erinnern und gedenken“ vorgestellt, das in diesem Jahr durch Darmstädter Schulen, das Zentrum für Lehrerbildung der TU Darmstadt, das Institut für Geschichte der TU Darmstadt, das Studienseminar für Gymnasien, die Landeszentrale für politische Bildung, das Staatsarchiv, die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Darmstadt, die Darmstädter Geschichtswerkstatt und durch den Verein „Gegen Vergessen – für Demokratie“ erarbeitet wurde.

„Seit einem halben Jahr begleiten Lehramtsstudierende der TU Darmstadt des Fachs Geschichte Schülerinnen und Schüler in ihren Unterrichtsprojekten zum Erinnern und Gedenken der Reichspogromnacht vor 80 Jahren“, erklärt Christine Preuß, die Leiterin des Zentrums für Lehrerbildung an der TU Darmstadt. „Mit der Abschlussveranstaltung am 16. November im historischen Maschinenhaus wird ein würdiger Rahmen geschaffen, um die Projekte der Darmstädter Schülerinnen und Schüler zu präsentieren. Die Organisation und Moderation übernehmen die Studierenden, die zusammen mit ihren Schülerinnen und Schülern verschiedene Formen des Erinnerns und Gedenkens an die, den Holocaust vorbereitenden, Pogrome gefunden haben. Unterschiedliche Zugänge zum Thema und eine Offenheit zum Diskurs mit den Jugendlichen kennzeichnen dabei die Arbeit der Studierenden. Der Austausch mit den Schülerinnen und Schülern stellt die angehenden Lehrkräfte dabei auch vor Herausforderungen: ,Auf welche Art und Weise soll heute Erinnerungsarbeit in Schule und Unterricht stattfinden?‘ In einer Demokratie darf auch über diese Frage gestritten werden und Lehrkräfte, die gelernt haben, mit und nicht über ihre Schülerinnen und Schüler zu sprechen, garantieren als wache Zeitzeugen der Gesellschaft eine Bildung im Sinne der UN-Menschenrechtscharta.“

„Die Novemberpogrome von 1938 bedeuten einen ganz entscheidenden Schritt in der Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden“, sagt Dr. Bertram Noback vom TU-Institut für Geschichte. „Auf den staatlich verordneten Versuch, die jüdische Kultur in Deutschland mit der Zerstörung der Synagogen auszulöschen, folgte erstmalig die systematische Deportation von etwa 30.000 Juden in die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen. Diese bildete den Auftakt zur bald folgenden Massendeportation in die Konzentrations- und Vernichtungslager des NS-Systems. Mit unserem fächer- und institutionenübergreifenden Projekt möchten wir erreichen, dass die heutigen Jugendlichen (Schüler und Schülerinnen und Studierende) eine Antwort darauf finden, wie sie als Träger der zukünftigen Erinnerungskultur mit dem NS-Erbe umgehen möchten. Bei der Suche nach eigenen Positionen möchten wir zusammen mit den Jugendlichen verschiedene pädagogische Zugänge aufzeigen, wie man sich dem Thema 80 Jahre später annähern kann.“

Quelle: Pressestelle der Wissenschaftsstadt Darmstadt


Teilen