Interview mit DRK-Kreisverbandsarzt Dr. Ingo Sagoschen – „Würde ich selbst ein Spenderorgan annehmen?“

Teilen

Organspendeausweis / Bild: DRK DarmstadtDr. Ingo Sagoschen (40 Jahre) ist Oberarzt und Leiter der Intensivmedizin am Zentrum für Kardiologie der Universitätsmedizin Mainz. Seit 20 Jahren ist er ehrenamtlich für das DRK Darmstadt tätig, seit 10 Jahren als Kreisverbandsarzt. Er stand uns zum Gespräch über das wichtige Thema Organspende zur Verfügung. Das DRK Darmstadt hat einen eigenen, neuen Organspendeausweis aufgelegt und möchte damit der Tendenz sinkender Spenderzahlen in Deutschland entgegenwirken.

Herr Dr. Sagoschen, in welcher Form sind Sie mit dem Thema Organspende befasst?

Als Leiter der Intensivmedizin am  Zentrum für Kardiologie bin ich Mitglied im Qualitätszirkel Organspende der Universitätsmedizin Mainz. Die Vertreter verschiedener mit der Organspende befasster Abteilungen sitzen in diesem regelmäßig tagenden Gremium, dem wiederum ein Gesamttransplantationsbeauftragter vorsteht.

Von DRK-Seite stand das Thema bisher nicht im Zentrum der Arbeit, sicher wird im Rahmen der Erste-Hilfe-Kurse auf den Spenderausweis hingewiesen. Es ist aber in erster Linie ein Thema der Krankenhausbehandlung, speziell der Intensivmedizin.

Beim Organspendeausweis geht es nicht um die Lebendspende, beispielsweise von Angehörigen, sondern es geht um die postmortale Spende. Für eine Organspende müssen viele medizinische Dinge zusammenkommen. Es muss ein schwerer, irreversibler Gehirnfunktionsausfall vorliegen, allgemein bekannt als Hirntod, bei dem nur noch ein zeitlich begrenztes Weiterfunktionieren der Organe mit maschineller Unterstützung möglich ist.

Was spricht dafür, sich als Spender registrieren zu lassen?

Der Bedarf an Organspenden ist groß. Diese gehen an Menschen mit schweren Erkrankungen, die ohne sie sterben würden. Für einen Ausweis spricht, dass man damit seinen eigenen Willen schriftlich niederlegt – dafür oder dagegen! Damit lässt man auch seine eigenen Angehörigen mit dieser Entscheidung nicht alleine.  Diese würden im Falle des Falles gefragt werden, wie man denn selbst entscheiden würde, sofern man dies noch könnte. Selbst wenn man die Grundfrage nach dem Dienst am Mitmenschen einmal außer Acht lässt, stellen sich jedem einzelnen von uns folgende Fragen beim Ausfüllen eines Spenderausweises:

1. Was würde ich wollen, spenden oder nicht spenden?
2. Würde ich selbst im Falle einer schweren Erkrankung ein Spenderorgan annehmen?

Falls man diese Frage mit Ja beantwortet, wäre es eigentlich nicht verständlich, wenn man nicht selbst auch zur Organspende bereit wäre.

Unter Umständen würde man nach dieser Überlegung auch die erste Frage dann noch einmal anders betrachten.

In der aktuellen Diskussion zum Thema Organspende wurde deutlich, dass Deutschland hier zu den Schlusslichtern gehört. Was sind die Ängste, die Menschen von der Bereitschaft zur Organspende abhalten könnten, beispielsweise Unsicherheiten um die Feststellung des Todeszeitpunkts oder die Sorge um die Unversehrtheit des Spenderleichnams? Wie kann man hier aufklären?

Im Alltag unserer modernen Gesellschaft klammern wir das Thema Tod in der Regel aus. Eine Festlegung zur Organspende ist aber verbunden mit dem Nachdenken über den eigenen Tod. Die Spende ist nur möglich beim medizinischen wie juristischen Tod: Auch wenn das Herz weiterschlägt, das Gehirn und damit die Persönlichkeit kehrt nicht mehr zurück – wirklich nur dann kommt eine Entscheidung über Organspende, ja oder nein, in Betracht.
Die große Angst bei diesem Thema kommt von einem ebenso großen Informationsdefizit. Schon ein Gespräch mit dem Hausarzt kann hier helfen.

Es gibt ein Transplantationsgesetz und eine Regelung der Bundesärztekammer, die 2015 nochmals aktualisiert wurde. Die Regelung der Ärztekammer kennt ein ganz klares und striktes Protokoll d. h. eine genau festgelegte Vorgehensweise zur Feststellung des „schweren, irreversiblen Gehirnfunktionsausfalls“ der dann juristisch dem Tod gleichkommt. Das Ende dieser Prüfung ist nicht die Organspende, sondern eben die Feststellung des (Hirn-)Todes im Sinne des irreversiblen Gehirnfunktionsausfalls. Erst danach wird über eine Organspende entschieden. Die Feststellung ist völlig unabhängig von einer möglichen Organspende!

In Deutschland gibt es keine Widerspruchsregelung wie in anderen Ländern: Dort muss man schriftlich widersprochen haben, wenn man nach dem eigenen Tod keine Spende wünscht. In Deutschland zählt ohne Organspendeausweis der mutmaßliche Wille des Patienten, wie ihn die Familie einschätzt. Wenn es keine schriftliche Festlegung gibt, aber die Angehörigen zustimmen, dann gibt es eine Organspende. Es gibt keine Spende wenn man sich dagegen ausgesprochen hat, wenn man sich gar nicht geäußert hat und auch die Angehörigen eine Spende ablehnen. Wenn es keine Einwilligung und keine Angehörigen gibt, dann gibt es ebenfalls keine Spende.

Ängste über eine „Unversehrtheit des Spenderleichnams“ sind nicht begründet. Mit dessen Körper wird umgegangen wie mit jedem Körper, der operiert wird. Es handelt sich um eine vollchirurgische Operation, bei der die Wunden der Entnahme wieder verschlossen werden.

Was muss ich dafür tun, Organspender zu werden? Wo bekomme ich den Ausweis vom DRK Darmstadt hierfür?

Indem Sie den Organspendeausweis mit sich tragen, signalisieren Sie Ihre Bereitschaft. Dort legen Sie fest, ob Sie Organspender sein möchten und können auch festlegen, welche Organe oder Gewebe Sie nicht spenden wollen. Der Ausweis hat die Größe einer Kreditkarte und findet Platz in jedem Portemonnaie. Er kann beim DRK Darmstadt abgeholt werden. Auch bei Blutspendeterminen in unseren Ortsvereinen ist der Ausweis erhältlich.

Quelle & Bild: DRK Darmstadt


Teilen