Pflanzliche Fabriken für wertvolle Substanzen – Darmstädter koordiniert europaweites Forschungsnetzwerk

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Pflanzliche Fabriken - Foto: Katrin Binner / TU DarmstadtSeit Jahrtausenden liefern Pflanzen hochwirksame Arzneistoffe, wertvolle Duft- und Aromastoffe sowie unverzichtbare Grundsubstanzen für die moderne Industrie. Die Nutzung dieser hochwertigen Substanzen ist allerdings nur eingeschränkt möglich, da viele von ihnen in langsam wachsenden oder gar seltenen Pflanzen vorkommen. Heribert Warzecha, Professor für Plant Biotechnology and Metabolic Engineering an der TU Darmstadt, hat im vergangenen Sommer die europäische Forschungsgruppe „Plant Metabolic Engineering for High Value Products“, ins Leben gerufen. In dem Netzwerk arbeiten 100 Wissenschaftler aus 21 Ländern daran, Pflanzen dazu zu bringen, spezifische Substanzen zu produzieren.

Pflanzen als Bioreaktoren

„Wir wollen zunächst wichtige hochwertige Substanzen identifizieren und sammeln, die für eine Produktion in Pflanzen in Frage kommen“, erläutert Warzecha, „und zwar die ganze Bandbreite von stark wirksamen Arzneistoffen bis hin zu chemischen Komponenten für unterschiedlichste industrielle Produkte.“ Das ist jedoch nicht das einzige Ziel von „Plant Engine“ (www.plantengine.eu). Darüber hinaus will der Biotechnologe die Produktion von „high value“-Produkten erleichtern und damit billiger machen. „Ein prominenter Vertreter solcher hochwertigen Substanzen ist das Krebsmedikament Vincristin, das aus einer auf Madagskar wachsenden Art des Immergrün isoliert wird. Für die Produktion von einem Gramm Arzneistoff sind 2 Tonnen dieses madegassischen Gewächses vonnöten: ein Gramm kostet 1000 Euro.“ Und nicht zuletzt soll Plant Engine die Produktion neuer Substanzen vorantreiben, die in dieser Form nicht in Pflanzen vorkommen. Wissenschaftler sprechen deswegen bezüglich ihres Metiers auch von Metabolic Engineering, den Stoffwechsel-Ingenieurswissenschaften.

Bio-Ingenieure schaffen Zellfabriken

Basis hierfür ist die synthetische Biologie, eine sehr junge Wissenschaft, bei der sich Mikrobiologen mit Chemikern, Ingenieuren, Nanowissenschaftlern und Bioinformatikern zusammentun, um neue biologische Systeme zu schaffen – seien es einzelne Moleküle, Zellen oder ganze Organismen – wie sie von der Natur nicht geschaffen wurden. Hierzu greifen sie in den Stoffwechsel ein, also jenen Vorgang im pflanzlichen Organismus, bei dem zahllose Eiweiße hergestellt und umgebaut werden, die die Stoffkreisläufe in der Pflanze regeln. Hierfür verändern die Wissenschaftler die Produktionswege einzelner Eiweiße, sogenannte Biosynthesewege, so dass die gewünschten Stoffe in größeren Mengen produziert werden. „Oder wir pflanzen bestimmte Synthesewege einer Pflanze etwa in Bakterien oder in Hefe ein, oder in schnell wachsende Tabakpflanzen. Vor kurzem haben Forscher Artemisinin, eine Substanz aus einem chinesischen Beifussgewächs in Zellkulturen produziert“, konkretisiert Warzecha. „So könnte womöglich künftig Malaria-Patienten mit diesem Wirkstoff geholfen werden.“ Die neuen „Zellfabriken“ bilden also Substanzen auf Geheiß der Wissenschaftler. „Es sind genetisch veränderte Pflanzen, die wir natürlich nicht in die Natur setzen“, betont Warzecha, „sondern nur in Gewächshäusern aufziehen.“

Suche nach neuen Werkzeugen

Der Darmstädter Biotechnologe selbst widmet sich Rauvolfia, einem immergrünen Strauch, der manchem vielleicht eher unter dem deutschen Namen Schlangenwurz oder Teufelspfeffer ein Begriff ist. „Rauvolfia produziert Ajmalin, einen Wirkstoff gegen Herzrhythmusstörungen. Deswegen ist die Pflanze bereits sehr lange bekannt und ihre Biosynthesewege schon gut untersucht“, erläutert Warzecha die Wahl seiner Modellpflanze. Er will mithilfe der Schlangenwurz mehr über die Möglichkeiten der Bio-Ingenieure erfahren: wie sie Biosynthesewege verändern können. Oder wie Enzyme – quasi die Werkzeuge der Substanz-Produktion – ausgetauscht oder verändert werden können. Welche Gene hierfür ein- und abgeschaltet werden müssen, wie also letztendlich die Produktion bestimmter Substanzen genetisch erhöht oder vermindert werden kann. Eine Enzymklasse, auf die Warzecha besonderes Augenmerk legt, sind die Cytochrom P450-Enzyme. Sie kommen „vor allem in der Leber vor, wo sie viele verschiedene Giftstoffe abbauen. Entsprechend viele unterschiedliche Substrate könnten sie auch in der Pflanze umsetzen.“ Mit diesen Multifunktionswerkzeugen könnten, so hofft der Darmstädter Forscher, unterschiedlichste Synthesewege in der Pflanze untersucht und manipuliert werden.

Foto: Katrin Binner / TU Darmstadt
Quelle: TU Darmstadt


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