Pressemitteilung des Naturschutzbeirates der Wissenschaftsstadt Darmstadt – Thema: Abschlussbericht des „Runden Tischs Wald“

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Der „Runde Tisch Wald“ der Stadt Darmstadt hat im Dezember 2020 einen mehrheitlich verabschiedeten Bericht zum Stadtwald vorgelegt1. In der Presse wurde bereits darüber berichtet. Darmstadt ist eine Stadt, die von Wald umgeben ist. Davon gehören aber nur 36 % der Stadt selbst und nur auf diesen Anteil bezieht sich der Bericht. Der Rest ist fast gänzlich Staatsforst des Landes Hessen (siehe Kartenbeilage).
Der am 16. Februar neu zusammengetretene 10. Naturschutzbeirat der Stadt möchte gern seine Position in die bereits angebrochene Diskussion einbringen und zu einem vertieften Verständnis der Inhalte beitragen.
Der Naturschutzbeirat begrüßt es außerordentlich, dass der Magistrat den Runden Tisch einberufen hat und damit die verschiedensten Akteure zusammengebracht hat. Durch die Diskussion miteinander und die Anhörung externer Fachleute konnten viele Einsichten gewonnen werden, unter Berücksichtigung sowohl wissenschaftlicher Erkenntnisse, wie auch praktischer Erfahrungen.

1. Der Bericht enthält zunächst eine umfassende Bestandsaufnahme unseres Stadtwaldes. Sie geht weit über die Betrachtung der gravierenden Baumschäden hinaus. Diese sind im „Waldzustandsbericht“ dargestellt, der vom Runden Tisch angeregt und sofort von der Stadt in Auftrag gegeben wurde. So wurde erstmals eine gute Datengrundlage geschaffen, die jährlich fortgeschrieben werden soll.
Von zentraler Bedeutung ist, dass im Bericht der Wald konsequent nicht nur aus dem Blickwinkel der – zweifellos besonders wichtigen – Bäume betrachtet wird, sondern ganzheitlich als Ökosystem. Dies führt schon bei der Bestandsaufnahme zu drei wichtigen Einsichten:

– Auch wenn Bäume geschädigt sind oder absterben, darf das nicht als „toter Wald“ fehlinterpretiert werden. Tot als Ökosystem ist ein Wald erst dann, wenn dauerhaft keinerlei Baumwachstum mehr möglich ist. Und soweit ist es glücklicherweise noch nicht.

– Auch abgestorbene Bäume und totes Holz sollten durchaus wertgeschätzt werden: Hier wimmelt das Leben! Zahllose bedrohte Tier- und Pilzarten sind auf Totholz angewiesen. Auch Flächen mit derzeit schlechtem Baumzustand sind in diesem Sinne wertvoll. Was nicht heißt, dass diese ein flächenhafter Dauerzustand sein sollten, im Gegenteil.

– Eine gründliche Bestandsaufnahme der Ökosysteme darf sich nicht auf die Baumschäden beschränken.
Hier zeigt der Bericht, dass unser Wald auch in anderer Hinsicht Defizite aufweist. So besteht z. B. ein Mangel an wirklich alten Bäumen, die Baumartenzusammensetzung ist teilweise naturfern und die Böden sind vielfach belastet. Da dadurch auch die Baumgesundheit ungünstig beeinflusst wird, müssen diese Defizite dringend behoben werden.

2. Auch das im Bericht formulierte Leitbild spiegelt die neue Sichtweise auf den Wald wider. Die oberste Priorität muss der Erhaltung des Waldes in seinem gegenwärtigen Flächenumfang und der Stärkung seiner Stabilität und Anpassungsfähigkeit zukommen. Diesem Oberziel müssen die verschiedenen, durchaus berechtigten Ansprüche des Menschen untergeordnet werden. Allerdings wird gerade dadurch am besten sichergestellt, dass der Wald langfristig und nachhaltig diese wichtigen „Ökosystemdienstleistungen“ erbringen kann, z. B. klimatische Ausgleichsfunktion, Wasser- und Luftreinigung, Erholungsnutzung. Der Naturschutzbeirat ist überzeugt, dass in diesem Miteinander von Ökologie und Mensch die Zukunft liegt.

3. In Form von Leitlinien werden sehr konkrete Handlungsempfehlungen zum Umgang mit dem Wald gegeben. Ziel ist ein ganzheitliches „Waldökosystem-Management“. Der Schlüssel liegt in der angestrebten, umfassenden Naturnähe. Wichtig sind hier besonders die Förderung der naturnahen Baumartenzusammensetzung, die Erhöhung des Holzvorrates und des Anteils alter Bäume, das Belassen von Totholz im Wald und der konsequente Schutz der Böden und des Waldinnenklimas.

Wenn abgestorbene Bäume und totes Holz im Wald verbleiben, ist das kein Zeichen mangelnder Pflege, sondern eine Lebensstätte für viele Waldbewohner und ein Beitrag zur Erhaltung der bedrohten biologischen Vielfalt. Auch dient Totholz der Anreicherung von Humus und Feuchtigkeit im Wald – notwendig in 1 Bericht_Runder_Tisch_Wald_2021-01-05.pdf (darmstadt.de) der Klimakrise. Wesentlich ist der weitere Verzicht auf Holznutzung. Das derzeit schon bestehende Moratorium soll verlängert werden. Obwohl der Naturschutzbeirat den nachwachsenden Rohstoff Holz grundsätzlich befürwortet, sollte in der nächsten Zeit die Stabilisierung des Waldes unterstützt werden, indem keine gesunden Bäume – zumal alte – gefällt werden. Dadurch bleibt das schützende Kronendach geschlossen, der Nährstoffkreislauf bleibt intakt und alte Bäume werden erhalten. Diese sind nach neuen Forschungen mit jungen Bäumen vernetzt und versorgen diese in schwierigen Zeiten. Außerdem kann auf Befahrungen der Waldböden mit schwerem Gerät verzichtet werden, die zu problematischen Bodenverdichtungen führen.

Besondere Unterstützung braucht der Wald, damit sich künftig wieder vermehrt Sämlinge zu Bäumen entwickeln können (Naturverjüngung). Dazu muss unter anderem die Bejagung des Rehwildes intensiviert werden, um den Verbiss der Jungbäume zu vermindern. Diese Maßnahme widerspricht nicht dem Naturschutz, sondern ist notwendig, um dem Wald eine Zukunftschance zu geben.
Wichtig ist die Reduzierung der sogenannten „Verkehrssicherung“ auf das unumgängliche Maß. Einerseits bestehen Gefahren, wenn an Waldwegen geschädigte oder abgestorbene Bäume stehen. Andererseits würde es den Wald destabilisieren, wenn entlang vieler Wege Rodungsschneisen gezogen werden.
Es muss daher künftig mehr Eigenverantwortung beim Waldbesuch gelten und Verständnis dafür gezeigt werden, wenn einige Wege gesperrt werden müssen.
Weitere wichtige Empfehlungen sind die Einstellung von ausreichend Forstpersonal, die Verstärkung der Umweltbildung und die ständige Begleitung des Waldökosystem-Managements durch Fachleute verschiedener Disziplinen.

Diese Leitlinien sind nach Überzeugung des Naturschutzbeirates wissenschaftlich begründet und notwendig. Auch wenn angesichts der rasch fortschreitenden Klimakrise keine Voraussage darüber getroffen werden kann, wie unser Wald in 50 oder 100 Jahren aussehen wird: Mit diesem Programm werden es auch künftig Ökosysteme sein, die einen hohen Naturschutzwert und damit auch Wert für uns Stadtmenschen haben.

4. Der Naturschutzbeirat schließt sich auch den Forderungen des Berichts im Abschnitt „Rahmenbedingungen“ nachdrücklich an. Unzweifelhaft sind die zuletzt immer heißeren und trockeneren Sommer die wichtigsten Stressfaktoren. Die Klimakatastrophe ist kein Geschehen in fernen Ländern oder der Zukunft, sondern wird hier und heute in unserem Wald sichtbar. Unverkennbar spielen aber weitere Ursachen eine Rolle; dazu gehören vor allem die vielfachen Zerschneidungen des Waldes durch Verkehrstrassen usw., die Belastung mit Luftschadstoffen und Grundwasserabsenkungen (diese allerdings nur nördlich des Waldfriedhofs im Westwald). Alle Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Reduktion von Luftverschmutzung kommen unmittelbar auch unserem Wald zugute. Große Verantwortung hat die Stadt bei der Umsetzung der Maxime: „Der Stadtwald soll in seinem Flächenumfang vollumfänglich erhalten bleiben“.

Auch kleine Rodungen, vor allem in Form von durchtrennenden Schneisen, destabilisieren auch die angrenzenden Bestände und müssen künftig konsequent unterbleiben. Bei unumgänglichen überregionalen Planungen, wie der neuen ICE-Trasse, sind die Varianten und Ausführungen zu wählen, die den geringstmöglichen Eingriff in den Wald darstellen.

5. Der Naturschutzbeirat begrüßt den substanziellen und zukunftsweisenden Bericht des Runden Tisches in allen Aspekten. Umso erfreulicher ist, dass der Magistrat dem Bericht bereits ohne Einschränkungen zugestimmt hat und ihn zur Grundlage der nächsten Forsteinrichtung (2023 – 2033) machen will. Die notwendigen organisatorischen, personellen und finanziellen Mittel sollen bereitgestellt werden. Uns sind keine Kommunen bekannt, die in ähnlicher Weise den Wald als Ökosystem ins Zentrum der Betrachtung rücken und alle nötigen Konsequenzen daraus ziehen. Wir hoffen, dass auch die neue Stadtverordnetenversammlung sich dem anschließen wird. Erfreulicherweise sind erste Maßnahmen bereits verwirklicht.

Von entscheidender Bedeutung wird sein, alles in der täglichen Praxis auch tatsächlich umzusetzen.

Dafür braucht es die Unterstützung von uns allen!
Darmstadt, den 10.3.2021 Dr. Christian Storm
(Vorsitzender des Naturschutzbeirates)

Download: Waldflächen im Stadtgebiet Darmstadt- Stadtwald und andere Waldbesitzer


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