„Wissenschaft braucht das Recht auf digitale Kopie“ – TU Darmstadt erzwingt Fortsetzung des Musterprozesses um das Recht auf Privatkopie für Bibliotheksnutzer

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BuchDie Technische Universität Darmstadt wird weiter für das Recht von Bibliotheken kämpfen, Printwerke aus ihrem Bestand auch in digitaler Form zugänglich zu machen. Dieses Recht wurde den Bibliotheken im Jahr 2008 im Zuge einer Änderung des Urheberrechts vom Gesetzgeber zugebilligt und von der Bibliothek der TU Darmstadt genutzt. Seitdem muss sich die TU Darmstadt rechtlich gegen einen Verlag und den Börsenverein des deutschen Buchhandels wehren, die zum einen fordern, eine Digitalisierung ihrer Printwerke nur im Einverständnis mit ihnen vorzunehmen und zum anderen den Lesern das grundsätzliche Recht auf Erstellung einer Kopie zum persönlichen Gebrauch verwehren wollen. Nachdem die TU Darmstadt im Sommer 2010 eine einstweilige Verfügung des Oberlandesgerichts Frankfurt nicht akzeptiert und den Weg der Klageerzwingung beschritten hatte, erhob die Verlagsseite Klage gegen die TU Darmstadt. Der erste Verhandlungstermin im Hauptsacheverfahren vor dem Landgericht Frankfurt am Main wurde nun auf den 8. Dezember 2010 festgelegt. Die TU Darmstadt führt den Prozess mit Unterstützung des Deutschen Bibliotheksverbandes als Musterprozess.

Im Jahr 2008 wurde den deutschen Bibliotheken mit dem § 52 UrhG das Recht gegeben, Printwerke aus ihrem Bestand ihren Nutzerinnen und Nutzern auch in digitaler Form zugänglich zu machen. Bibliotheken sollten in die Lage versetzt werden, ihren Nutzern häufig genutzte Werke auch unabhängig von (vorhandenen oder fehlenden) Verlagsangeboten in digitaler Form anzubieten. Der Gesetzgeber trug damit einem wichtigen Ziel der EU-Richtlinie zur „Harmonisierung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“ Rechnung. Jedermann sollte den Zugang zu digitaler Information erhalten.

Die Bibliothek der TU Darmstadt war eine der ersten in Deutschland, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machte. Anfang 2009 wurden rund 100 von der Bibliothek erworbene Lehrbücher an elektronischen Leseplätzen – nur im Lesesaal – den Nutzern zugänglich gemacht. Unterstützt vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels erhob daraufhin der Ulmer Verlag, einer der betroffenen Verlage, Klage gegen die TU Darmstadt. Verlag und Börsenverein wollen erreichen, dass die Bibliotheken – auch im Falle der wissenschaftlichen Nutzung – von ihrem neu geschaffenen Recht der Digitalisierung ihrer Printwerke nur im Einverständnis mit den Verlagen Gebrauch machen können und zudem den Lesern das grundsätzliche Recht auf Erstellung einer Kopie zum persönlichen Gebrauch in diesen Fall verwehrt wird. Aus Sicht der Universitäten und ihrer Bibliotheken zielt dies erkennbar darauf ab, das neu geschaffene, schon im Gesetzgebungsverfahren zwischen Bibliotheken und Verlagen heftig umstrittene Recht praktisch wertlos zu machen.

In dem bisherigen einstweiligen Verfügungsverfahren haben die zuständigen Gerichte, das Landgericht und das Oberlandesgericht Frankfurt, in zwei Instanzen das beklagte Recht der Bibliotheken ausdrücklich bestätigt, das Recht der Nutzer jedoch eingeschränkt. Bibliotheken dürfen unabhängig von den Verlagen Werke aus ihrem Printbestand digitalisieren und in ihren Räumen das so geschaffene digitale Exemplar zur Nutzung anbieten. Den Nutzerinnen und Nutzern muss jedoch jede Möglichkeit genommen werden, daraus für sich Kopien zu machen. Hatte das Landgericht in der ersten Instanz immerhin noch den Ausdruck auf Papier zugelassen und nur den Download verboten, untersagte das Oberlandesgericht am 24.11.2009 auch den Papierausdruck.

Die TU Darmstadt hat diese einstweilige Verfügung nicht akzeptiert, sondern im Sommer 2010 den Weg der sogenannten Klageerzwingung beschritten. Damit war die Verlagsseite gezwungen, Klage in der Hauptsache gegen die TU Darmstadt zu erheben. Dies ist im August 2010 geschehen. Die Sache wird also neu verhandelt werden.

Statement von Dr. Hans-Georg Nolte-Fischer, Direktor der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt:

„Das Verfahren wird weitergeführt, um Rechtsklarheit herbeizuführen. Ziel ist es aber auch, den Gesetzgeber auf die Problematik hinzuweisen. In der anstehenden erneuten Novellierung des Urheberrechts, dem sogenannten „Dritten Korb“, ist es dringend erforderlich, dass zugunsten der wissenschaftlichen Nutzung von Texten eine Klarstellung der vom Gesetzgeber mit dem § 52b UrhG verbundenen Intentionen erfolgt: Eine Grenze der Vermarktungsrechte der Verlage ist die freie Kopie für die Wissenschaft, die den Urhebern selbstverständlich vergütet aber nicht an die Zustimmung der Verlage gebunden sein darf.

Der Universität geht es in diesem Prozess nicht allein um ihre eigenen Nutzer. Sie führt diesen Prozess als Musterprozess, denn in der Wissenschaft sind Lehre und Forschung ohne die Nutzung von Individualkopien nicht möglich. Was für die Print-Welt anerkannt ist, muss auch in der digitalen Welt erlaubt sein. Wissenschaftliches Arbeiten mit Texten setzt – das wissen alle Beteiligten – die Möglichkeit voraus, Randnotizen zu machen, Hervorhebungen im Text vorzunehmen, Passagen wortwörtlich aus der Bibliothek mitzunehmen, um Quellen später verlässlich zu zitieren. Immer schon müssen daher Texte kopiert werden können. Die Kopisten in den Skriptorien mittelalterlicher Klöster erledigten dies durch Abschreiben, seit Jahrzehnten verwendet man Kopiergeräte – und heute funktioniert dies durch Ausdruck und elektronische Kopie. Ein „Zurück“ ins Mittelalter kann niemand ernsthaft wollen.

Der Börsenverein und die durch ihn vertretenen Verlage dürften das ähnlich sehen. Sie versuchen allerdings, die Erstellung, Nutzung und Verwertung digitaler Medien aus vorhandenen Printmedien für sich zu monopolisieren. Statt Tantiemen an die Urheber, sollen Zahlungen an sie der einzige rechtlich zulässige Weg zum digitalen Medium sein. Völlig unstreitig ist nämlich, dass die Bibliotheken zu Zahlungen an die Urheber verpflichtet sind, wenn sie deren Werke digitalisieren. Das Gesetz selber gibt den Weg dazu auch vor. Die Tantiemen sollen über die Verwertungsgesellschaften, in dem Fall die VG Wort, erhoben und an die Autoren verteilt werden. Es geht also keineswegs um „Raubkopien“, wie öffentlich immer wieder von Verlagsseite behauptet wird. Es geht auch nicht um ein kostenloses Vermehren verfügbarer Exemplare, um Entlastung der Bibliotheksetats gewissermaßen durch die Hintertür. Und schon gar nicht geht es darum, den Urhebern ihren verdienten Lohn vorzuenthalten.

Die Wissenschaft braucht die Möglichkeit, zeitgemäße Medienformen auch dann verfügbar zu machen, wenn die Verlage dies in angemessener Form aus welchen Gründen auch immer nicht wollen oder können. Es geht um die Herstellung moderner, im wissenschaftlichen Umfeld längst selbstverständlich gewordener Arbeitsbedingungen für Studierende und Wissenschaftler unabhängig von den Geschäftsinteressen einzelner Verlage.“

Quelle: TU Darmstadt


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