Schneller quietschfrei bremsen – Forscher der TU Darmstadt ermöglichen Computersimulation von Bremsen

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TU DarmstadtQuietschende Bremsen sind für die Autoindustrie ein technisch schwieriges und kostspieliges Problem. Doch die Entwicklung geräuschloser Bremsen könnte nun wesentlich vereinfacht werden: Die Arbeitsgruppe Dynamik und Schwingungen um Professor Peter Hagedorn an der TU Darmstadt hat ein mathematisches Modell gefunden, um moderne Bremsen am Computer zu simulieren.

„Dank der virtuellen Entwicklung sparen die Autohersteller enorm viel Zeit und damit Kosten“, sagt Hagedorn. Bislang musste ein Ingenieur etwa ein Jahr lang arbeiten, bis eine Bremse quietschfrei war. Mit der Computersimulation kann dieser Zeitraum erheblich verkürzt werden.

Seit rund 50 Jahren werden Personenkraftwagen mit Scheibenbremsen ausgerüstet, und seither ist das Quietschen ein Alptraum für Entwicklungsingenieure. Die Ursache des Übels liegt in unerwünschten Schwingungen der Bremsscheibe, die durch den Reibkontakt zwischen Scheibe und Bremsbelägen angeregt werden. Das Quietschen hängt extrem von Umgebungseinflüssen wie Temperatur und Luftfeuchtigkeit ab, was eine experimentelle Untersuchung zusätzlich erschwert. „Bislang haben Motorrad- und Autohersteller hauptsächlich an den Symptomen gearbeitet und beispielsweise Dämpfungsbleche an die Beläge montiert“, berichtet der wissenschaftliche Mitarbeiter Dr. Gottfried Spelsberg-Korspeter.

Mit Mathematik zu quietschfreien Bremsen

Mit den mathematischen Modellen der Darmstädter Maschinenbauer könnte sich das bald ändern und auch für Bremsen möglich werden, was in anderen Bereichen schon gang und gäbe ist: die virtuelle Entwicklung am Rechner, ohne kostspielige und zeitaufwendige Experimente. Die Darmstädter führen ihre Simulation anhand der Schwimmsattelscheibenbremse durch, einer Standardbremse in Pkw und Motorrädern. Erste Versuche waren erfolgversprechend. Nun stehen die Maschinenbauer in Verhandlung mit Automobilherstellern, um die Simulation in größerem Umfang zu testen und für die Massenproduktion nutzbar zu machen. Wenn die Verknüpfung mit den Standardwerkzeugen der Industrie gelingt, könnte das den Entwicklungsprozess von Bremsen schon in zwei bis drei Jahren deutlich verkürzen – und zwar für alle Bremsen. „Die Modellierung des Quietschens ist auch auf andere Bremstypen übertragbar“, blickt Spelsberg-Korspeter in die Zukunft. Das heißt, dass dank der Darmstädter Simulation auch Trommelbremsen und Blockbremsen, wie sie häufig in Güterzügen genutzt werden, optimiert werden könnten. Damit könnte auch das extrem laute Quietschen an Bahnhöfen bald der Vergangenheit angehören.

Intelligente Bremsen sind noch sehr teuer

Die Arbeitsgruppe um Professor Peter Hagedorn tüftelt seit gut zehn Jahren am Quietsch-Problem und wurde hierfür unter anderem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Die Darmstädter haben bereits die „Smart Pads“ erfunden, die Bremsenquietschen erfolgreich verhindern. Smart pads sind aktive Bremsbeläge, die als Sensoren Schwingungen der Bremsscheibe aufzeichnen und auch unterdrücken können. Möglich wird das durch Piezokeramiken, also Werkstoffe, die sich bei Anlegung von elektrischer Spannung verformen oder umgekehrt bei Druck oder anderen von außen wirkenden mechanischen Kräften Spannung aufbauen. „Bei großen deutschen Automobilzulieferern sind die Smart Pads bereits im Einsatz“, erzählt Spelsberg-Korspeter. „Die Produktion ist für eine breite Anwendung allerdings zu teuer.“ Noch. Sollte die Entwicklung weiter in Richtung Elektromobile gehen, könnten elektrisch betriebene Bremsen eines Tages Realität werden. Dann wäre auch die intelligente Bremse aus Darmstadt keine Frage des Geldes mehr.

Quelle TU Darmstadt


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