Gewaltverbrechen an Familie in Babenhausen aufgeklärt

Teilen

Gut ein Jahr nach dem Gewaltverbrechen, bei dem die Eheleute Klaus und Petra Toll (damals 62 und 58 Jahre alt) erschossen und ihre damals 37 Jahre alte behinderte Tochter durch mehrere Schüsse lebensgefährlich verletzt worden war, hat die Polizei am Dienstag (11. Mai 2010) einen 40 Jahre alten Mann aus Babenhausen auf dem Weg zu seiner Arbeitsstelle festgenommen. Der Ermittlungsrichter bei dem Amtsgericht erließ Haftbefehl wegen des Verdachts des Mordes in zwei Fällen und versuchten Mordes in einem Fall. Die Staatsanwaltschaft Darmstadt hatte den Haftbefehl beantragt. Der Beschuldigte ist inzwischen in Untersuchungshaft. Bei seinen Vernehmungen vor der Polizei und später vor dem Ermittlungsrichter machte der Beschuldigte von seinem Recht Gebrauch, nicht zur Sache auszusagen. Ungeachtet dessen sind sich Staatsanwaltschaft und Polizei sicher, dass das Motiv in einem lang andauernden nachbarschaftlichen Streit zwischen dem Tatverdächtigen und den Opfern lag.

Auf die Spur, die zu dem Vierzigjährigen führte, kamen die Ermittler durch eine Computerüberprüfung. Der Beschuldigte soll einige Zeit vor der Tat mit dem Firmencomputer auf eine Internetseite in der Schweiz zugegriffen haben, die sich mit dem Eigenbau von Schalldämpfern beschäftigt. Ein zufälliger Aufruf der Seiten kann ausgeschlossen werden. Spezialisten konnten eine bestimmte Wörterkombination, mit der nach selbstgebauten Schalldämpfern gesucht wurde, recherchieren. Kurz nach der Tat war der Firmencomputer des Tatverdächtigen durch einen angeblich technischen Defekt vernichtet worden. Dennoch gelang es Spezialisten im Firmennetzwerk die Spuren zu finden, die den Tatverdächtigen schwer belasteten. Gutachten, die erst seit Kurzem den Ermittlungsbehörden zur Verfügung standen, belegten diese Aktivitäten.

Daneben ermittelten Staatsanwaltschaft und Polizei zahlreiche weitere verdächtige Umstände, die einen dringenden Tatverdacht begründeten und keinen vernünftigen Zweifel an der Tatbegehung durch den Beschuldigten zuließen. Dazu gehörte die zweifelsohne schwer belastete Beziehung zwischen dem Tatverdächtigen und den Opfern. Viele Erkenntnisse hieraus stellten Stück für Stück ein Mosaik zusammen. Dieses Bild machte die seit Jahren bestehende und äußerst problematische nachbarschaftliche Beziehung deutlich.

Auch ein Einsatz von so genannten Man-Trailer-Hunden ließ erkennen, dass der Täter sich sehr gut am Tatort und dessen unmittelbarer Umgebung ausgekannt haben musste. Verblüffend war auch die Tatsache, dass die Hunde unabhängig voneinander zu der Firma des Tatverdächtigen liefen. Sie hatten lediglich den Geruch einer Tatortspur aufgenommen.

Am 17.04.2009 wurden gegen 04.00 Uhr die Eheleute in ihrem gemieteten Reihenhaus erschossen, die behinderte 37 Jahre alte Tochter lebensgefährlich verletzt. Einen Tag später fanden Passanten die schwerverletzte Tochter im Vorgarten des Hauses. Das Opfer musste stundenlang blutend durch das Haus geirrt sein.

Unmittelbar nach der Tat wurde eine Sonderkommission mit teilweise bis zu dreißig Beamten gebildet. Die Ermittler klopften das berufliche und private Umfeld der Opfer ab, ohne dass sich zunächst hieraus eine heiße Spur ergab. Erschwert wurden die Ermittlungen durch den Umstand, dass die Familie offenbar sehr zurückgezogen lebte.

Von Anfang an war klar, dass es ein Motiv geben muss, dass allerdings lange Zeit im Dunkeln blieb. Eines war aber ersichtlich: Der Täter kam in der Absicht, diese Familie zu töten.

Das Verbrechen blieb trotz kontinuierlicher Berichterstattung in den Medien mysteriös. Es gingen vergleichsweise wenige Hinweise ein, die zu keinen greifbaren Ergebnissen führten. Dies veränderte sich auch nicht, als die Staatsanwaltschaft Darmstadt eine Belohnung von anfangs 5.000,- Euro schon frühzeitig auf 25.000,- Euro erhöhte.

Die Sonderkommission mit dem Namen „FES36“ arbeitete mit großem Personal- und Zeitaufwand. Aufgrund der Spurenlage identifizierte sie als Tatwaffe eine Walther P38 oder systemgleiche Waffe. Die Pistole ist bis heute nicht gefunden. Eine weitere Besonderheit: Der Täter benutzte einen selbstgebauten Schalldämpfer. Dies stellten die Beamten aufgrund von Schaumstoffspuren fest. Die Schüsse wurden später am Tatort rekonstruiert, um in verschiedenen Varianten ein Geräuschbild zu analysieren. Bestätigt wurden dabei auch noch einmal Erkenntnisse, wonach der Täter die Tat gut vorbereitet und planmäßig durchgeführt haben muss.

Die Sonderkommission klärte weit über tausend Spuren ab, überprüfte hunderte von legal gemeldeten Pistolen diesen Typs, ohne die Tatwaffe zu finden, befragte und vernahm rund einhundert Personen, die in einem Zusammenhang zu der Opferfamilie standen.

Schon wenige Monate nach der Tat geriet der Beschuldigte erstmals in Verdacht. Im Juli 2009 wurde der Vierzigjährige vorläufig festgenommen. Die Verdachtsmomente bezogen sich auf den Internetzugriff. Der Mann bestritt in seiner Vernehmung die Tat. Zu diesem Zeitpunkt konnten die bestehenden Verdachtsmomente noch nicht erhärtet werden. Der Festgenommene wurde wieder auf freien Fuß gesetzt.

Die Untersuchungen durch Spezialisten hinsichtlich des Zugriffs auf die Schweizer Internetseite mit Bauanleitung für einen selbstgebauten Schalldämpfer dauerten an. Das erst kürzlich erstellte Gutachten belegt, dass der Beschuldigte bei seiner Vernehmung im Sommer 2009 nicht die Wahrheit gesagt haben kann. Massive Widersprüche wurden jetzt erkennbar.

Chronik

Freitag, 17. April 2009, ca. 04.00 Uhr: Der Täter erschießt mit jeweils mehreren Schüssen die Eheleute Toll und gibt ebenfalls mehrere Schüsse auf die Tochter ab. Als der Täter das Haus verlässt, geht er davon aus, auch die Tochter getötet zu haben.

Samstag, 18. April 2009, ca. 13.20 Uhr: Nachbarn finden die blutüberströmte Tochter lebensgefährlich verletzt im Vorgarten.

Eine Sonderkommission wird gebildet, ein Hinweistelefon geschaltet. Ein Familiendrama können Staatsanwaltschaft und Polizei ausschließen.

Donnerstag, 23. April 2009: Die Staatsanwaltschaft Darmstadt setzt eine Belohnung von 5.000 Euro aus.

Montag, 27. April 2009: Die Polizei teilt der Öffentlichkeit mit, dass bei der Tatwaffe um eine Walther P38 handelt. Die Waffe wurde millionenfach für Wehrmacht, Bundeswehr und Polizei produziert.

Dienstag, 5. Mai 2009: Die Polizei stellt einen Schaukasten vor das Tathaus und startet damit einen weiteren Zeugenaufruf.

Montag, 11. Mai 2009: Die Staatsanwaltschaft erhöht die Belohnung auf 25.000 Euro.

Dienstag, 12. Mai 2009: Die intensive Medienarbeit wird fortgesetzt. Einzelheiten werden im Internet veröffentlicht.

Donnerstag, 14. Mai 2009: Die Polizei nimmt zwei Männer aus Groß-Umstadt fest, die etwa zehn Tage nach dem Verbrechen in das Tathaus eingedrungen waren. Sie hatten dort vergleichsweise geringwertigen Schmuck gestohlen. Nach intensiven Überprüfungen scheiden die Festgenommenen als Tatverdächtige für das Gewaltverbrechen aus.

Donnerstag, 28. Mai 2009: Die Polizei gibt öffentlich bekannt, dass der Täter einen selbstgebauten Schalldämpfer benutzt haben muss.

Mittwoch, 3.Juni 2009: Die Sonderkommission und die Staatsanwaltschaft rekonstruieren mit Vergleichswaffen die Tat. Hierzu werden die Medien direkt an den Tatort eingeladen.

Juli 2009: Der tatverdächtige Babenhäuser gerät in Verdacht. Er wird vorläufig festgenommen. Der Tatverdacht kann nicht erhärtet werden. Der Mann wird auf freien Fuß gesetzt.

Dienstag; 11. Mai 2010: Der Vierzigjährige wird erneut festgenommen und ist inzwischen in Untersuchungshaft. Gegen ihn besteht jetzt dringender Tatverdacht.

Quelle: Polizeipräsidium Südhessen


Teilen