Pilotprojekt zur Geodateninfrastruktur

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tu_darmstadt3Ein Gewerbebetrieb will expandieren und sucht nach einem neuen Standort: Kaum eine Kommune, die sich nicht freuen würde, den Betrieb zu beherbergen und neue Arbeitsplätze in der Region zu schaffen. Jedoch: „Bislang müssen Unternehmer monatelang von Behörde zu Behörde ziehen, um die notwendigen Informationen zu den potenziellen Baugrundstücken zusammenzutragen. Das kann durchaus ein halbes Jahr dauern – pro Standort“, berichtet Prof. Hans-Joachim Linke vom Geodätischen Institut und An-Institut für Kommunale Geoinformationssysteme e.V. (IKGIS) der Technischen Universität Darmstadt.

Das soll sich nun deutlich einfacher werden, denn Deutschland will Geodaten, also alle Daten, die sich auf Standorte beziehen, für jedermann zugänglich im Internet verfügbar machen. Geodaten geben unter anderem Informationen zu Eigentümern und Bebauungsplänen sowie zur Topographie und Ökologie eines Stücks Land. Die Rennerei von einer Behörde zur nächsten wird damit unnötig. Profitieren werden aber nicht nur Unternehmer, sondern auch Umweltschützer und Privatleute.

Aufbau einer europäischen Geodatenautobahn

Die Initiative zum Aufbau einer Geodateninfrastruktur (GDI) kommt aus der Europäischen Kommission. Unter dem Namen INSPIRE (Infrastructure for Spatial Information in Europe) koordiniert die Europäische Kommission die nationale Umsetzung und gibt Zeitpläne vor, in deren Rahmen die Länder ihre Geodaten im Internet bereitstellen müssen. Im Februar dieses Jahres hat Deutschland kurz vor Ablauf der Frist das Gesetz über den Zugang zu digitalen Geodaten (Geodatenzugangsgesetz – GeoZG) beschlossen.

Die entsprechenden Gesetze der Bundesländer stehen überwiegend noch aus. Hessen will sein Gesetz im 3. Quartal 2009 verabschieden. Noch sind die Kommunen allerdings weit davon entfernt, die betreffenden Daten im Internet recherchierbar zu machen. Ein europäisches Geoportal soll dennoch zumindest in Teilen bereits bis 2011 stehen.

Die meisten Regionen Deutschlands haben gerade damit begonnen, ihre Geodaten zu sichten, um festzustellen, was wo vorliegt, ob Informationen doppelt erhoben wurden und werden und welche womöglich veraltet sind. „Geodaten sind in einer Kommune nicht selten mehrfach abgelegt, bei den Naturschutzbehörden, beim Bauwesen oder auch beim Ordnungsamt“, erklärt Jörg Blankenbach, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Geodätischen Institut der TU Darmstadt.

Die Region Südhessen jedoch ist mit dem Aufbau der Infrastruktur ein gutes Stück weiter als andere Regionen Deutschlands. Bereits im Jahr 2006 hat IKGIS im Auftrag des Hessischen Landesamtes für Bodenmanagement und Geoinformationen und in Zusammenarbeit mit dem Amt für Bodenmanagement Heppenheim verschiedene Landkreise und Kommunen an einen Tisch geholt und gemeinsam mit diesen ein Pilotprojekt zur Geodateninfrastruktur initiiert. Unter der Federführung von Prof. Robert Seuß (IKGIS und Fachhochschule Frankfurt) setzte diese Projektgruppe verschiedene Beispielfälle um und entwickelte ein Organisations- und Finanzierungsmodell für die neue kommunale Geodateninfrastruktur.

2008 schlossen sich dann die hessischen Landkreise Bergstraße, Darmstadt-Dieburg, Groß Gerau und der Odenwaldkreis sowie die Städte Darmstadt und Offenbach gemeinsam mit dem Planungsverband Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main und dem Land Hessen zu der Arbeitsgemeinschaft Geodateninfrastruktur Südhessen (GDI) zusammen. „Diese große Mitwirkungsbereitschaft der Kommunen in der Region Südhessen hat alle Erwartungen der Projektbeteiligten übertroffen“, begrüßen Linke und Seuß diese sehr erfolgreiche Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis.

Durch eine eigene GDI-Geschäftsstelle wollen die Südhessen nun die weitere Umsetzung der Infrastruktur vorantreiben. „Zunächst wird im Jahr 2009 das Informationssystem für Bebauungspläne von allen beteiligten Gebietskörperschaften so ausgebaut, dass zukünftig jeder Bürger nach Eingabe der Adresse oder der Flurstücksnummer die Auskunft erhält, ob für dieses Grundstück ein Bebauungsplan besteht und welche Festsetzungen dieser trifft“, erläutert Seuß. Davon profitieren auch private Häuslebauer, die künftig im Internet nachschauen können, in welcher Gemeinde Baugrundstücke zur Verfügung stehen, ob dort Zwei- oder nur Einfamilienhäuser gebaut werden dürfen, ob Sattel- oder Flachdach vorgeschrieben ist und vieles mehr.

Umweltschutz kommt voran

Mit der Verfügbarkeit der Geodaten über das Internet lassen sich aber nicht nur Vorhaben beschleunigen, sondern auch Umweltschutzbelange besser berücksichtigen. Beispielsweise können dann die für Planungs- und Genehmigungsvorgänge von Großvorhaben wie Kraftwerken oder Bahntrassen erforderlichen Daten aus dem Internet entnommen werden, etwa zwei- und dreidimensionale Geodaten zu Bodenbeschaffenheiten, zu schützenswerten Gebieten oder zu vorhandenen Siedlungseinheiten. Deren Beschaffung wäre ansonsten sehr zeitaufwändig und kostenintensiv.

Umwelt und Natur könnten auch dadurch profitieren, dass beispielsweise der Bestand an schützenswerten Biotopen bundesweit erfasst und zentral verfügbar gemacht wird. Die Daten könnten vereinheitlicht und aktualisiert werden und ein realistisches Bild des Bestands in Deutschland geben, das für jeden einsehbar ist. Das wiederum ermöglicht zum einen sehr viel konkretere Schutzmaßnahmen für den Erhalt von Tier- und Pflanzenarten. „Zudem ergeben sich daraus neue Ideen, Fragen oder Initiativen und im besten Fall eine weitere Vernetzung der Umweltschutzorganisationen“, hofft Blankenbach.

Zukünftig Geodaten für Jedermann

Mit der Verfügbarkeit der Geodaten über das Internet lassen sich aber auch neue Anwendungen erschließen. „Steht die Auskunft zu den Bebauungsplänen über Internet den Bürgern zur Verfügung, kann diese auch so erweitert werden, dass zukünftig Bauanträge der Gemeinde digital zugeleitet werden,“ zeigt Linke Anwendungsmöglichkeiten in Richtung eines E-Government auf. Auch kann die Bürgerbeteiligung bei den verschiedenen Planungsverfahren hier verbessert werden.

Neben den Nutzungsmöglichkeiten im öffentlichen Bereich bieten sich auch Anwendungsmöglichkeiten im privaten Bereich und für die Wirtschaft an. Vielfach im Aufbau sind mobile Informationssysteme, die eine Nutzung der Geodaten über Handys, Navigationssysteme oder andere mobile Geräte ermöglichen, sei es zur Orientierung oder zur Information über nächstgelegene touristische Ziele.

Diese benötigen jedoch Geodaten, die laufend aktuell gehalten werden, damit ein Bürger nicht an einer befristeten Straßensperrung zur Umkehr genötigt wird oder ein touristisches Ziel geschlossen vorfindet. Hier bietet sich das Zusammenführen verschiedener Datenquellen in einer GDI an, um den Aktualisierungsaufwand für die einzelnen Daten möglichst gering zu halten und Mehrfacherhebungen zu vermeiden.

„In Südhessen zeigen wir, wie man bei der Einrichtung der GDI Synergien schaffen und viel Zeit und Geld sparen kann“, bringt es Seuß auf den Punkt. Das „Geoportal Hessen“ existiert heute bereits in seinen Anfängen (www.geoportal.hessen.de), und der Erfolg in Südhessen spricht sich herum: „Für Mittel- und Nordhessen soll Ähnliches initiiert werden, wie wir dies für Südhessen erfolgreich angestoßen haben“, berichtet Linke.

Quelle: TU Darmstadt


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